„Viele Patienten haben das diffuse Konzept, dass mit Psychotherapeuten über die Kindheit gesprochen werden sollte. In vielen Situationen mag das hilfreich sein, es kann aber auch eher eine Vermeidungsstrategie darstellen. Die Patientin hat ein aktuelles, hoch relevantes Problem, das gelöst werden muss, damit sollte sie sich befassen!“ (Seite 72)
Gitta Jacob stellt in ihrem Buch die wichtigsten Fallen vor, in die eine Psychotherapie geraten kann und zeigt Wege aus der jeweiligen Falle. Dabei liegt der Fokus des Buches auf Patientenfallen (Dependenz-Falle, System-als-Familienersatz-Falle, Verwöhntheitsfalle, Falsches-Setting-Falle, Verbitterungsfalle, Maligne-Narzissten-Falle und Nonresponse-Falle), zudem werden zwei Therapeutenfallen (Retterfalle, Idealismus-Falle) präsentiert.
Ich empfand das Buch als sehr übersichtlich aufgebaut, klar strukturiert, verständlich geschrieben und durch die vielen Fallbeispiele zudem praxisnah.
Das Buch ist recht unterhaltsam geschrieben und liest sich dadurch fast belletristisch. Ich hab mich beim Lesen oft an eigene Patienten erinnert gefühlt, wodurch mir Vorsicht Therapiefallen! nicht nur bei der Planung eigener Therapien hilft, sondern mir auch ermöglicht hat, dass ich im Nachhinein etwas besser verstanden habe, was bei der Psychotherapie mit eigenen Patienten passiert ist.
Manche Beschreibungen empfand ich jedoch auch als eher banal, und mit etwas Lebens-/Berufserfahrung sind viele Fallen auch ohne Buch durchschaubar und bewältigbar, so dass ich finde, dass sich das Buch eher an blutige Anfänger richtet, die direkt von der Uni kommen und bisher kaum Patientenkontakt hatten.
Die Therapeutenfallen haben mich eher geärgert, denn ich fand die Schilderungen viel zu negativ und zu pessimistisch. Ich empfinde das (realistische und authentische!) Vermitteln von Hoffnung als einen ungemein wichtigen Baustein bei der Behandlung psychischer Erkrankungen, vor allem der Schizophrenie oder schwerer Persönlichkeitsstörung, und ich finde nicht, dass man als Therapeut zu früh aufgeben sollte und/oder Patienten als „nicht therapierbar“ abstempeln darf. Gerade die Tatsache, DASS manche Patienten bereits mehrere Therapieversuche gemacht haben, die nicht funktionierten, sollte dazu führen, dass man Hilfe anbietet und dass man diese Personen nicht wegschickt, zu Kollegen weiterleitet und zu den Akten legt. Aber vielleicht sitze ich auch einfach in einer Therapeutenfalle…
Gitta Jacob: Vorsicht Therapiefallen! Verfahrene Situationen und Sackgassen in der Psychotherapie erkennen und auflösen. Beltz, 2020, 176 Seiten; 36,95 Euro.