„Es kommt mir vor, als würde mein Leben unter der Mitternachtssonne stattfinden.“ (Seite 363)
Junzo Sasagaki von der Mordkommission Osaka genießt seinen freien Tag, indem er durch die Stadt streift und gegrillten Tintenfisch isst, als er plötzlich mitten in einen Polizeieinsatz gerät: Seine Kollegen untersuchen eine männliche Leiche, die in einem leerstehenden Gebäude gefunden wurde.
Das Opfer wurde erstochen, hatte sich aber anscheinend nicht gewehrt und wurde, da er seinen Führerschein und Visitenkarten dabei hatte, sofort als der Pfandleiher Yosuke Kirihara identifiziert. Dieser hatte kurz vor seinem Tod noch die junge Witwe Fumiyo Nishimoto besucht, mit der er möglicherweise eine Affäre hatte, und zudem 1 Millionen Yen von seinem Konto abgehoben.
Obwohl es zahlreiche Verdächtige und überzeugende Motive für den Mord gibt, wird der Täter nicht gefasst, doch Sasagaki gibt nicht auf, und fast 20 Jahre später versucht er immer noch, den Fall aufzuklären.
Ich kenne alle bisher auf Deutsch erschienenen Bücher von Keigo Higashino (Inspektor-Kaga-Reihe: Böse Absichten, Ich habe ihn getötet; Physikprofessor-Yukawa-Reihe: Verdächtige Geliebte, Heilige Mörderin) und halte ihn für denjenigen Autor, der die raffiniertesten, ausgefeiltesten und perfektesten Kriminalromane überhaupt schreibt.
Unter der Mitternachtssonne gehört zu keiner der oben erwähnten Reihen, wurde bereits 1999 in Japan veröffentlicht und erschien im März 2018 erstmals in deutscher Sprache.
Ich habe generell große Probleme, mir Namen zu merken, und bei einer Sprache wie Japanisch, die ich überhaupt nicht spreche und die mir deshalb eher fremd ist, habe ich natürlich noch mehr Probleme als im Alltag. Die wahre Flut an Personen ist meiner Meinung nach auch das einzige Manko dieses 700-seitigen Thrillers von Higashino, der zwar perfekt konstruiert ist, der mich stellenweise aber wirklich sehr verwirrt und ratlos zurückgelassen hat, weil ich immer wieder nachschlagen musste, um wen es denn gerade eigentlich geht. Dies hat mein Lesevergnügen ehrlich getrübt, denn ich hatte das Gefühl, ich würde mich nie in der Geschichte zurechtfinden und keinerlei Zusammenhänge verstehen, weil ich ständig die Namen durcheinandergebracht habe.
Nach der Lektüre kann ich sagen, dass dem nicht so war, denn obwohl ich auf den 700 Seiten nicht immer den absoluten Durchblick hatte, wer wer ist, hat letztendlich alles einen Sinn für mich ergeben, und ich empfand den Thriller retrospektiv als sehr gelungen, denn trotz der vielen Protagonisten ist der Roman sehr spannend und fesselnd erzählt, und die Figuren sind überzeugend charakterisiert. Aus den vielen Puzzleteilchen, die Higashino dem Leser präsentiert, entsteht (wenn der Leser etwas Geduld mitbringt) eine komplexe Geschichte, die überzeugt und unterhält.
Ich finde, Unter der Mitternachtssonne ist ganz anders als die anderen Higashino-Bücher, die bisher auf Deutsch erschienen sind, denn die Geschichte ist deutlich breiter angelegt, der Leser begleitet die Personen über einen längeren Zeitraum hinweg und der Roman wird etwas weniger geradlinig erzählt als von Higashino gewohnt. Nichtsdestotrotz kann der Thriller den Leser in seinen Bann ziehen, auch wenn er mich stellenweise konfus gemacht hat, was mir bei Higashino normalerweise nicht passiert.
Unter der Mitternachtssonne ist ein sehr guter Thriller, aber meiner Meinung nach nicht das beste Buch von Higashino und meines Erachtens auch kein guter Einstieg in die Higashino-Welt.
Keigo Higashino: Unter der Mitternachtssonne. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Tropen, 2018, 719 Seiten; 25 Euro.
Dieser Post ist Teil des Japan-Themas im April 2018.
Ich hab´s jetzt endlich durchgelesen und stimme dir zu 100% zu. Genau so habe ich das Buch auch empfunden! Genial konstsruiert aber diese Namesflut war echt eine große Herausforderung. Ich habe jetzt noch „Böse Absichten“ im Regal. Freue mich schon total darauf.
Werde nachher meine Rezi verfassen. 🙂
GlG, monerl
Oh, da bin ich gespannt auf deine Rezension. Gut, dass es nicht nur mir so ging mit all den Namen. Man zweifelt ja ein wenig an sich, wenn man beim Lesen überhaupt nicht rafft, von wem da gerade die Rede ist… Liebe Grüße an dich!