„Zahlreiche neuere theoretische und empirische Arbeiten haben basale Störungen des Selbsterlebens als ein charakteristisches Merkmal oder sogar als den Kern der Erkrankung identifiziert. Sie liefern gute Evidenz dafür, dass die genaue Beschreibung dieser Selbststörungen auch zur Früherkennung und -behandlung der Erkrankung genutzt werden kann, d.h. in Phasen, in denen die charakteristischen produktiven Symptome wie Wahn oder Halluzinationen noch nicht hervorgetreten sind. Von Betroffenen werden Selbststörungen zunächst als subtiles Gefühl der Entfremdung, der inneren Leere oder als Verlust der eigenen Natürlichkeit erlebt. In akut-psychotischen Zuständen können sie sich bis zu einer existenziell bedrohlichen ‚Ich-Auflösung‘ steigern.“ (Seite 9)
Die Autoren bieten initial einen historischen Abriss der Schizophrenie und ihrer Phänomenologie, beschreiben näher, was die Störung des basalen Selbsterlebens bedeutet und beinhaltet, bevor sie zwei Fallstudien zu Entkörperung und Entfremdung vorstellen.
Im Anschluss stellen die Autoren die ins Deutsche übersetzte EASE (Examination of Anomalous Self Experience) und EAWE (Examination of Anomalous World Experience) im Detail vor, erklären die einzelnen Domänen und Items der Interviews, präsentieren einen EASE-Interviewleitladen mit Beispielfragen.
Ich musste mich erst ein wenig ins Buch einlesen, denn die verwendete Terminologie ist teilweise etwas anders als die mir vertraute, was sicherlich am philosophischen Fokus des Buches und der Autoren liegt. Inhaltlich fand ich das Buch jedoch von Anfang an sehr spannend und sehr lehrreich, da ich selbst in der Psychosenpsychotherapie tätig bin, mich schon sehr lange mit Schizophrenie beschäftige und sehr gerne dazulerne, auch und gerade was Phänomenologie und Psychopathologie angeht.
Ich bin hier auf sehr viel Neues gestoßen, konnte mich näher mit bestimmten Phänomenen der Schizophrenie auseinandersetzen und habe tiefe Einblicke in Themen bekommen, die man nur selten in Fach-/Lehrbüchern antrifft und die für gewöhnlich eher praktisch durch die Arbeit in einem multiprofessionellen Team im Bereich der Schizophrenie vermittelt werden. Dies hatte für mich einen echten Mehrwert, und auch wenn ich die Interviews wahrscheinlich nicht durchführen werde, ist das Buch eine echte Fundgrube für Fragen zu Symptomen und Schilderungen Betroffener.
Die vielen Fallbeispiele, Erklärungen und die Beispielfragen fand ich dabei besonders gelungen, hilfreich, relevant und praxisnah.
Thomas Fuchs, Sanneke de Haan, Max Ludwig und Lily Martin (Herausgeber): Selbst- und Welterleben in der Schizophrenie. Die phänomenologischen Interviews EASE und EAWE. Kohlhammer, 2021, 234 Seiten; 52 Euro.