„und plötzlich hatte sie nichts außer sich selbst, nichts außer ihm, außer dem Schmerz“
Iris kennt den Schmerz: körperlichen Schmerz, der sie nach einer schweren Verletzung bei einem Terroranschlag seit 10 Jahren tagtäglich begleitet, und seelischen Schmerz, dem sie seit fast 30 Jahren ausgesetzt ist, nachdem ihre große Liebe Eitan sie verlassen hat.
Nun führt ausgerechnet der körperliche Schmerz dazu, dass sie Eitan nach all den Jahren wiedersieht, denn er arbeitet als Schmerzspezialist.
Nach dieser Begegnung gerät Iris‘ Leben durcheinander, sie stellt ihre Partnerschaft, ihre Familie und die letzten Jahrzehnte in Frage, genießt das Gefühl, ihre große und einzige Liebe wiedergefunden zu haben, und steht kurz davor, alles für Eitan aufzugeben.
Ich hatte vor der Lektüre von Schmerz bereits Liebesleben und Mann und Frau von Zeruya Shalev mehrmals und mit großer Begeisterung gelesen. Auch Schmerz hat mir sehr gut gefallen, ist ein beeindruckendes und mitreißendes Buch, kann dem Vergleich mit den ersten beiden Romanen der Autorin meiner Meinung nach jedoch nicht ganz standhalten.
In langen Sätzen, ohne gekennzeichnete wörtliche Rede und mit anspruchsvoller Sprache gelingt es Shalev, ein zwischenmenschliches Szenario aufzubauen, das die Dynamik in den Beziehungen zwischen den Protagonisten zeigt und das es dem Leser ermöglicht, an den Gefühlen der Figuren direkt teilzuhaben. Man muss Schmerz aufmerksam lesen, damit einem nichts entgeht, und es lohnt sich, den Roman langsam und sorgfältig zu lesen, weil er sowohl sprachlich als auch psychologisch gelungen ist.
Shalev ist eine Meisterin im Beobachten und Beschreiben von Emotionen. Auch Schmerz ist geprägt von realistischen und detailgenauen Schilderungen, die dafür sorgen, dass man sich als Leser mit vielen Äußerungen und Situationen identifizieren kann. Gerade zu Beginn des Romans empfand ich das bedrückende Gefühl von Schuld und die gegenseitigen Schuldzuweisungen als meisterhaft und überzeugend beschrieben. Auch die detailreiche Schilderung des Attentats fand ich beeindruckend, obgleich befremdlich. Beim Lesen dieser Passage habe ich mich gefragt, wie stark der autobiografische Anteil des Romans ist, da Shalev – wie die Hauptprotagonistin – 11 Jahre vor Erscheinen des Romans bei einem Selbstmordanschlag verletzt wurde.
Zeruya Shalev: Schmerz. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, 2015, 368 Seiten; 24 Euro.
Dieser Post ist Teil des Frauen-Monatsthemas im September 2018.
Ich habe irgendwie immer noch keinen Schimmer, auf welches Monatsthema du hinaus willst! haha
Von der Autorin habe ich „Mann und Frau“ gelesen und fand das Buch damals furchtbar! Für mich war dies eines der schlechtesten Bücher, das ich gelesen habe. Deshalb habe ich mich auch nicht mehr getraut, was anderes von Shalev zu lesen.
Deine Rezension klingt sehr interessant. Bin aber unsicher, ob der Schreibstil mich überzeugen könnte.
GlG, monerl
Haha! Da sieht man mal wieder wie Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinandergehen, denn ich war der festen Überzeugung, dass das mit dem Thema-Raten überhaupt nicht funktioniert, weil ab dem ersten Post jeder gleich weiß, worum es geht. Umso cooler finde ich es, dass so viel rumgeraten wird (leider verstreut auf mehreren Plattformen).
Zu Zeruya Shalev: Ich finde sie einfach grandios. Die Art und Weise, wie sie Beziehungen seziert, fand ich schon in „Liebesleben“ und „Mann und Frau“ großartig. Krass, wie wir da auseinanderdriften. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass man ihren Stil mögen muss, weil er schon besonders ist.
Liebe Grüße,
Romy