„Ich kaute, schleckte, würgte, schnupperte und tapste mich der Welt des Dachses entgegen. Manchmal hatte ich das Gefühl, ihr näher zu kommen, nur um dann festzustellen: Die Dünkelhaftigkeit dieses Gefühls implizierte, dass ich ihr ferner war denn je.“
Charles Foster hat versucht, wie ein Tier zu leben. Für dieses Experiment hat er sich fünf verschiedene Spezies ausgesucht, deren Verhalten, Ernährungsweise und Sinneswahrnehmung er am eigenen Leib untersuchen und erfahren möchte: Dachse in den Black Mountains von Wales, Fischotter im Exmoor, Füchse im Londoner East End, Rothirsche im Exmoor und in den schottischen Highlands sowie Mauersegler in der Luft zwischen Oxford und Zentralafrika.
In seinem Buch Der Geschmack von Laub und Erde erzählt der Autor nicht nur von seinen eigenen Erfahrungen, wie er versucht hat, als das jeweilige Tier zu leben, zu handeln, zu essen und zu fühlen, sondern präsentiert zudem Fakten über die Tiere, bietet Einblicke in Biologie und Neurowissenschaften, Anatomie und Physiologie, Psychologie sowie Mythologie.
Ich habe schon sehr viel über Tiere gelesen, aber Der Geschmack von Laub und Erde ist wahrhaft einzigartig und etwas, das ich in der Art vorher noch nie gelesen hatte.
Beim Lesen war ich durchweg hin- und hergerissen zwischen Ungläubigkeit darüber, wie weit der Autor in seinen Experimenten geht, und Faszination für seinen Mut und seine Neugier, zwischen Ekel und Respekt. Dieses Gefühl ist auch nach der Lektüre geblieben: Ich bin nach wie vor nicht sicher, was ich von Foster und seinem Vorhaben halten soll.
Sicher bin ich mir allerdings darüber, dass Foster etwas Unglaubliches gewagt hat und dass ich ihm dankbar bin, dass er seine Erfahrungen mit dem Leser geteilt hat, denn er hat mir durch sein Buch viel Wissen über die jeweiligen Tiere vermittelt und mir eine Welt gezeigt, die mir bislang verschlossen war. Und gewiss ist auch, dass ich in Zukunft bei jedem Dachs, Otter, Fuchs, Rothirsch und Mauersegler an Foster und Der Geschmack von Laub und Erde denken werde.
Bisweilen habe ich beim Lesen gedacht, dass ich manche Dinge eigentlich nicht lesen und erfahren möchte, und dabei ist es bei Geschichten wie dem Essen eines Wurmes nicht hilfreich, dass der Autor stets sehr lebendig und plastisch schreibt, dass er alle Sinnesmodalitäten des Lesers anspricht, dass er den Leser vor Ort versetzt und ihn so beinahe an seinen Erlebnissen teilhaben lässt.
Oft habe ich mich bei der Lektüre zudem gefragt, was für ein Mensch man sein muss, um sich den im Buch beschriebenen Erfahrungen auszusetzen und ob es ethisch korrekt ist, den 8-jährigen Sohn mit zum Leben in einem Erdloch, zum Essen von Würmern und zum Anlecken von Schnecken zu nehmen.
Der Geschmack von Laub und Erde ist ein ebenso gewagtes wie beeindruckendes Experiment, bei dem der Autor an die Grenzen des Menschseins kommt, mehr und mehr zum Tier wird und den Leser in eine unglaubliche und faszinierende Welt mitnimmt.
Charles Foster: Der Geschmack von Laub und Erde. Aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß, Kollektiv Druck-Reif. Malik, 2017, 287 Seiten; 20 Euro.
Dieser Post ist Teil des Füchse-Monatsthemas im Oktober 2021.