„Ich dachte lange, eine Beerdigung würde helfen, vom Gestorbenen Abschied zu nehmen. […] Aber eine Beerdigung hilft nicht. […] Es hilft, beim Sterben dabei zu sein.“ (CD 1, Track 1)
Bernhard Schlink erzählt in Abschiedsfarben von Abschied und Tod, Freundschaft und Verrat, Vertrauen und Lügen, Schuld und Sühne, Angst und Erleichterung.
Der Leser/Hörer erfährt z.B. von Andreas, dessen Flucht aus der DDR vereitelt wurde und dessen Tochter nach seinem Tod seine Stasi-Akte anfordern will, von einem Mann, der anscheinend den Mord an seiner Nachbarin beobachtet hat, der sich jedoch in Schweigen hüllt und darauf beharrt, nichts gesehen zu haben, und von einem Paar, das sich gemeinsam in ihrem Bad suizidiert.
Mein letztes Buch von Schlink habe ich vor einer halben Ewigkeit gelesen, und ich kann heute gar nicht mehr sagen, warum ich nach dem grandiosen Roman Der Vorleser nicht alle nachfolgenden Bücher des Autors gelesen habe. Nun hat mich Abschiedsfarben wieder daran erinnert, dass ich Schlink im Auge behalten und mehr von ihm lesen sollte.
Abschiedsfarben wird vom Autor selbst gelesen, und zu Beginn fand ich seine irgendwie brüchig klingende Stimme noch etwas gewöhnungsbedürftig, aber letztendlich hat mir auch dieser Aspekt des Hörbuchs im Verlauf gut gefallen, zumal Schlink sein Hörbuch wirklich grandios eingelesen hat. An Autorenlesungen mag ich besonders, dass man hier ein Buch genauso hört, wie es vom Autor intendiert wurde, was meist sehr zum Hörvergnügen beiträgt. Auch fand ich dies sehr gelungen, und es war von Anfang bis Ende ein Vergnügen, Schlink beim Lesen seiner Geschichten zu lauschen.
Die Geschichten haben mich oft mitten ins Herz getroffen, und vor allem diejenigen Leser und Hörer, die bereits eine nahestehende Person verloren haben, werden sich in Schlinks Gedanken und Gefühlen, seinen Ausführungen und seinen Beobachtungen gut wiederfinden und sich verstanden fühlen.
Schlink ist ein ausgezeichneter Beobachter, und er schafft es, seine Beobachtungen in schnörkelloser, klarer Sprache zu Papier zu bringen, Gefühle und Verhaltensweisen lebendig und überzeugend zu beschreiben.
Oft sind Schlinks Geschichten über weite Strecken hinweg undurchsichtig, man weiß nicht, wohin die Reise noch geht, worauf der Autor hinaus will, welche Wendung seine Geschichte noch nehmen wird. Dies alles baut Spannung auf, bleibt aber stets realistisch und nachvollziehbar. Das Resultat ist eine ebenso meisterhaft erzählte wie tief berührende Sammlung an Geschichten, die noch lange im Leser/Hörer nachhallen.
„Und es ist eigentümlich: Je weniger man mit einem in den Jahren vor seinem Tod zu tun hatte, desto länger dauert der Abschied von ihm, je mehr man mit ihm zu tun hatte, desto rascher geht‘s.“ (CD 1, Track 1)
Bernhard Schlink: Abschiedsfarben. Ungekürzt gelesen von Bernhard Schlink. Diogenes Verlag, 2020; 17,95 Euro.