„Wenn man etwas unbedingt glauben möchte, dann sieht man nur noch, was man sehen will.“ (Seite 579)
Eines Morgens findet ein Angestellter des Palace de Verbier auf dem Teppichboden der Suite 622 eine Leiche. Das Verbrechen wird nie aufgeklärt, und aus Prestigegründen ändert das Hotel die Zimmernummer in 621a.
Jahre später übernachtet der Autor Joël Dicker in dem exquisiten Hotel in den Schweizer Alpen und macht dort Bekanntschaft mit der Engländerin Scarlett Leonas, der auffällt, dass es kein Zimmer 622 gibt, und die mehr über die Hintergründe erfahren möchte.
Schließlich ermitteln Dicker und Leonas gemeinsam in dem Fall. Sie stoßen dabei auf die Geschichte um Macaire Ebezner, dessen Vater bis zu seinem Tod Präsident des Bankhauses Ebezner war. Macaire hofft darauf, seine Nachfolge anzutreten, und bangt der Bekanntmachung der Nachfolge beim legendären „Großen Wochenende“ im Palace de Verbier entgegen.
Dicker schreibt in eingängiger und anspruchsvoller Sprache, und ich habe sofort Zugang zu dieser Geschichte gefunden. Es gibt im Buch mehrere Zeitebenen, wodurch der Roman sehr abwechslungsreich erzählt und viel Spannung aufgebaut wird.
Der Roman hat viel Kritik abbekommen. Ja, er wirkt etwas konstruiert. Ja, die Figuren sind etwas stereotyp, und ihre Charakterisierung ist eher oberflächlich. Ja, man könnte sich wundern, warum Dicker sich selbst im Roman auftreten lässt. Ja, es gibt ein paar Ungereimtheiten und unnötige Cliffhanger. Ja, das Buch ist teilweise recht vorhersehbar.
Aber diese Stimmung im Roman! Die ist einfach wunderbar, und ich empfand das Buch als tollen Schmöker, der mir trotz der Kritikpunkte sehr viel Spaß gemacht hat. Ich lese meist 5-8 Bücher parallel, aber hier habe ich mich nur auf Das Geheimnis von Zimmer 622 konzentriert und bin in zwei Tagen durch die 600 Seiten geflogen und habe dann noch den 19 (!) Stunden des Hörbuchs gelauscht.
Zum Teil lagen meine Faszination und meine Begeisterung sicher auch daran, dass ich die Atmosphäre in alten Grand Hotels (in den Bergen) extrem mag und dass ich mich hier gerne stundenlang in diesem besonderen und spannenden Setting befunden habe, richtig in die Geschichte eintauchen wollte und konnte.
Torben Kessler, den ich als Hörbuchsprecher sehr schätze, liest Das Geheimnis von Zimmer 622 mit angenehmer Stimme, der man stundenlang zuhören kann. Er liest unaufgeregt, mit perfekter Geschwindigkeit und Betonung. Er gibt dieser Geschichte, die über weite Strecken in dem mondänen Hotel spielt, die passende Stimme und vermittelt die passende Stimmung.
Joël Dicker: Das Geheimnis von Zimmer 622. Aus dem Französischen von Michaela Meßner und Amelie Thoma. Piper Verlag, 2021, 624 Seiten; 25 Euro.
Joël Dicker: Das Geheimnis von Zimmer 622. Aus dem Französischen von Michaela Meßner und Amelie Thoma. Ungekürzte Lesung von Torben Kessler. Osterwold Audio, 2021; 25 Euro.
Dieser Post ist Teil meines Schweiz-Monatsthemas im Juni 2022.