Morgen bin ich ein Löwe von Arnhild Lauveng

„Früher verbrachte ich meine Tage als Schaf,
während sich alles in mir danach sehnte, über die
Savanne zu jagen.
Und ich ließ mich treiben, vom Pferch auf die Weide
und wieder in den Stall, wenn sie sagten, das sei für
ein Schaf so das Beste.
Und ich wusste, dass das falsch war.
Und ich wusste, dass es so nicht ewig gehen würde.

Früher verbrachte ich meine Tage als Schaf.
Aber morgen bin ich ein Löwe.“ (Seite 9)

Arnhild Lauveng war schizophren. Dies ist eine Phrase, die es in der Psychiatrie eigentlich nicht gibt, denn entweder ist man schizophren oder man ist es nicht. Man hat bestensfalls ein symptomfreies Intervall, aber die F20, mit der die Schizophrenie in der ICD-10 verschlüsselt ist, ist eine sogenannte Lebenszeitdiagnose, die man im Normalfall nie wieder los wird, auch wenn man nur eine einzige schizophrene Episode im Leben gehabt haben sollte.

Lauveng hat es jedoch geschafft, diese Diagnose wieder los zu werden (auch wenn es einige Menschen gibt, die das nicht akzeptieren möchten und/oder an einer initialen Schizophrenie-Diagnose zweifeln), nachdem sie insgesamt 6-7 Jahre ihres Lebens in psychiatrischen Kliniken verbracht hat.

Nach dieser dunklen Phase ihres Lebens ist sie nun wieder gesund: symptomfrei und ohne Medikamente. Sie hat nach ihrer Genesung Psychologie studiert und erzählt in Und morgen bin ich ein Löwe von Prodromalsymptomen wie Angst und sozialem Rückzug, vom langsamen Auflösen ihrer Identität, davon, wie ihre Welt immer chaotischer und bedrohlicher wurde, von akustischen Halluzinationen (anfangs noch Akoasmen, später Stimmen), von optischen Halluzinationen von Wölfen, von Zwangseinweisung, Krankenhausaufenthalten, Entwürdigung, Selbstrespekt, Erfolgen, Rückschlägen, ihrem Weg zur Genesung, sozialer Unterstützung, Ablehnung, medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung.

Mit Schizophrenie verbindet mich eine jahrelange Forschungstätigkeit, universitäre Lehre und eine ausgeprägte Faszination für diese nach wie vor so geheimnisvolle Erkrankung, vor allem aber eine persönliche Geschichte, die die Quelle für meine große Leidenschaft für die und mein enormes Interesse an der Schizophrenie ist.

Ich würde also durchaus behaupten, ein solides Grundwissen im Bereich der Schizophrenie zu haben, doch Lauvengs Buch hat mir einen einzigartigen Einblick in die Welt von Psychoseerfahrenen geboten, indem sie zum Einen ungeheuer reflektiert von ihren Erfahrungen, Gefühlen und Gedanken erzählt und zum Anderen die erlebten Phänomene so plastisch beschreibt, dass man auch als Nicht-Psychoserfahrener einen Blick in die verzerrte, beängstigende, sich immer weiter auflösende Welt in der Psychose wagen kann. Dies führt zu einem hohen Verständnis, was eine Schizophrenie ausmacht und was in Menschen mit Schizophrenie vorgeht. Beim Lesen spürt man regelrecht die Angst, die das Leben der Autorin in der schizophrenen Psychose beherrscht, obwohl man als Nicht-Psychoserfahrener das Glück hat, sich von diesen Ängsten und Wahrnehmungen distanzieren zu können. Man bekommt dadurch jedoch eine gewisse Vorstellung davon, in was für einer beängstigenden und unheimlichen Welt Menschen mit Schizophrenie leben.

Bei der Lektüre kann man als Laie nicht nur sehr viele Fakten über die Schizophrenie erfahren, z.B. typische Prodromalsymptome, Positiv- und Negativsymptome, Dynamik von selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität, sondern man erhält auch sehr persönliche Einblicke in die Welt Lauvengs.

Wer sich für die Schizophrenie interessiert, der sollte unbedingt dieses Buch lesen und sich auf Lauvengs Schilderungen des Verschwimmens von Realität und Fiktion einlassen, die die Autorin mit großer emotionaler und fachlicher Kenntnis beschreibt.

Mich hat Lauvengs Geschichte sehr bewegt, und ihr Buch hat mir eine weitere Tür zum Verständnis der Schizophrenie geöffnet.

Arnhild Lauveng: Und morgen bin ich ein Löwe. Wie ich die Schizophrenie besiegte. Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob. btb, 2010, 221 Seiten; 9,99 Euro.

Dieser Post ist Teil des Monatsthemas „Psychische Störungen“ im Februar 2019.

Dazu hab ich auch was zu sagen!