
„Doch das Erleben der Betroffenen sieht so anders aus, als in den Vorlesungen dargestellt. Wie Menschen mit Schizophrenie die Welt erleben, ihr Misstrauen und ihre Ängste – wird mir langsam, ganz langsam, erst hier bewusst.“ (Seite 82f)
Bei der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter wird aus Versehen alles von persönlichem Wert in eine Müllverbrennungsanlage geschickt. Zurück bleibt nur Wertloses, Abfall.
Nachdem nichts Materielles von seiner Familie zurückbleibt, bleiben dem Ich-Erzähler nur Erinnerungen. Er blickt auf seine Familie und die Geschichte seiner Familie zurück, erzählt von den psychischen Störungen in der Familie: die Mutter alkoholabhängig und schwer depressiv, deren Mutter suizidal, bipolar, psychotisch, der Vater des Ich-Erzählers depressiv, der Großvater schizophren.
Der Ich-Erzähler ist auf der Suche, zieht in verschiedene Städte, und er ist auf der Flucht – flieht vor dem Psychoserisiko durch die familiäre Häufung, vor dem Stadtleben, das sein Risiko für psychische Störungen erhöhen könnte.
Und schließlich führt sein Weg auch in die Psychiatrie – jedoch als Psychologe.
Dieses Buch ist mir vor allem durch die großartige Covergestaltung aufgefallen, und auch der Inhalt hat mich richtig begeistert und gefesselt, denn Leon Englers Debütroman wird nicht nur eindringlich erzählt, er ist auch fundiert und überzeugend.
Beim Lesen merkt man, dass der Autor selbst Psychologie studiert hat. Hier werden viele psychiatrische Diagnosen korrekt beschrieben, wird von Psychiatriegeschichte erzählt, und immer wieder werden Sigmund Freud, C.G. Jung und andere Persönlichkeiten der Psychiatrie und Psychotherapie erwähnt.
Auch sprachlich ist der Roman wundervoll: anspruchsvoll, viel Sprachwitz, und Engler erzählt mit messerscharfem Verstand.
„Es gibt keine Verdrängung ohne das Wiederauftauchen des Verdrängten, außer in der Psychose. Ist die Psychose also die Perfektion des Vergessens? Aber die Inhalte der Psychose ähneln oft den Inhalten von Träumen. Man kann behaupten, dass Träume sinnlos und willkürlich sind, Abfallprodukte unseres Gehirns. Man kann sie aber auch als Ausdruck von verdrängtem Material verstehen.“ (Seite 93)
Leon Engler: Botanik des Wahnsinns. DuMont Buchverlag, 2025, 208 Seiten; 23 Euro.