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„Du wirst allein sein in der großen Nacht. Es ist nicht das erste Mal, dass ich diesen Satz höre.“ (Seite 17)
Die zwölfjährige Têle Fêlée lebt mit ihrer alkoholabhängigen Mutter, die als Prostituierte Geld verdient, und dem Mann, den sie ‚Papa‘ nennt, der jedoch nicht ihr leiblicher Vater ist, in der Cité de Dieu, einem Slum in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince.
Têle Fêlée, deren Vater der beste Söldner des mächtigsten Gangsters im Viertel ist, wächst mit häuslicher Gewalt auf, erlebt, beobachtet und hört von körperlicher und von sexueller Gewalt. Sie lernt früh, dass Gewalt ein probates Mittel ist, um sich abzugrenzen, um sich zu schützen, um Rache zu üben, um zu überleben.
Neben all dem Elend, das Têle Fêlée erlebt, gibt es jedoch auch Schönes, Hoffnungsvolles in ihrem Leben: die Liebe zu Silence, die Haiti jedoch verlässt und fortan in den USA lebt.
Ich habe mich bisher kaum mit Haiti befasst und war dementsprechend neugierig auf diesen Debütroman von Jean D’Amérique.
Mein erster Eindruck vom Buch war, dass mir die Sprache viel zu metaphorisch war, es mir deshalb schwer fiel, der Geschichte zu folgen, ich mich nicht auf den Schreibstil einlassen konnte und deshalb den Inhalt erst einmal gar nicht aufnehmen konnte.
Ich habe somit (vorerst) gar keinen Zugang zur Geschichte gefunden, obwohl der Klappentext so spannend klang und mich die Thematik eigentlich sehr interessiert hat.
Ich wollte den Roman aber unbedingt mögen, auch weil ich sehr viele begeisterte Besprechungen gehört und gelesen habe, und deshalb habe ich den Roman ein zweites Mal begonnen.
Und das hat eine große Veränderung gebracht: Zwar war der Roman sprachlich immer noch nicht mein Ding, aber beim zweiten Versuch konnte ich mich einlassen, mich eindenken und einfühlen.
Der Roman ist in sehr expliziter Sprache geschrieben, lässt den Leser so allen Deck und alles Leid der Welt von Têle Fêlée miterleben. Der Schreibstil ist lebendig und gnadenlos, die mir eher unverständlich gebliebenen Metaphern habe ich eher überlesen, was dem Verständnis keinen Abbruch getan hat.
Alles in allem hat mir der Roman Haiti näher gebraucht, und ich möchte mich nun gerne intensiver mit dem Land befassen.
Jean D’Amérique: Zerrissene Sonne. Aus dem Französischen übertragen und mit einem Vorwort versehen von Rike Bolte. literadukt, 2024, 114 Seiten; 13 Euro.