„Was hätte der 17-, 21-, 27-jährigen Version von mir geholfen, sich früher Hilfe zu suchen?
[…] inzwischen kenne ich die Antwort: Mir hätte es geholfen, wenn ich früher gewusst hätte, dass ich krank bin.“
Zehn Jahre lang hat Dominique de Marné nicht gewusst, was mit ihr los ist, dass sie mit ihren Beschwerden und Problemen nicht allein ist, dass es Hilfe gibt. In Warum normal sein gar nicht so normal ist erzählt sie von ihrer Depression, ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung und ihrer Alkoholabhängigkeit und erhofft sich durch ihre Offenheit, dass es andere Menschen in ähnlichen Situationen in Zukunft einfacher haben:
„Zu verändern, wie wir über psychische Gesundheit reden, und zu bewirken, dass wir überhaupt darüber sprechen, ist mittlerweile so etwas wie meine Mission geworden.“
De Marné macht in ihrem Buch deutlich, warum es so wichtig ist, über psychische Probleme zu reden und zu schreiben. Sie erklärt zudem verschiedene Symptome am eigenen Beispiel, was sehr anschaulich ist und viel Wissen vermittelt. Da ich selbst vom Fach bin, war mir vieles bereits geläufig, aber dennoch habe ich etwas dazugelernt, vor allem bezüglich der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), womit ich mich bisher nur marginal beschäftigt habe.
Für Laien ist das Buch ein echter Segen, denn hier erfährt man alles, was man über Klassifikationssysteme, Diagnosen und Symptome zum Einstieg wissen muss. De Marné schreibt weiterhin ausführlich über die Behandlung psychischer Störungen (v.a. psychotherapeutisch und medikamentös, aber auch durch kleinere Veränderungen im Alltag, die große Wirkung haben, z.B. Schlafhygiene, gesunde Ernährung, Sport) sowie über Stigmatisierung.
Das Buch ist in einfacher, leicht verständlicher Sprache geschrieben. Anfangs fand ich es für meinen Geschmack bisweilen etwas zu flapsig, aber das hat sich im Verlauf gegeben. Von Anfang an hatte ich jedoch auch den Eindruck, dass de Marné durch ihren lockeren Schreibstil Betroffene und Angehörige da abholt, wo sie stehen, dass sie generell sehr gut ins Thema einführt, ihr Anliegen sehr deutlich macht und das Wichtigste überzeugend herausarbeitet. Vor allem ihre Anmerkungen zu Suizid fand ich in diesem Zusammenhang extrem wichtig, weil de Marné auf sehr klare und pointierte Weise über gefährliche Mythen rund um das Thema Suizid aufklärt.
Die Autorin bleibt außerdem stets sachlich, wenn sie über psychische Störungen schreibt, und bauscht nichts auf. Das ist mir besonders positiv bei der Schizophrenie aufgefallen, deren Symptome in anderen Publikationen oft sehr dramatisch dargestellt werden, was möglicherweise die Faszination für die Schizophrenie erhöhen mag, vor allem aber die Stigmatisierung ankurbelt.
Warum normal sein gar nicht so normal ist ist ein wichtiges Buch für Betroffene, Angehörige und alle, die glauben, psychische Störungen gingen sie nichts an, beträfen immer nur die anderen. Deshalb wünsche ich dem Buch sehr viele Leser und kann es voll und ganz empfehlen.
Die Zukunftsvision de Marnés („Epilog – 20 Jahre später“) fand ich ein ebenso schönes wie berührendes Ende dieses wichtigen Buches:
„Ebenso freuen wir uns unfassbar, dass die Suizidrate heute den niedrigsten Wert seit Beginn der Aufzeichnung erreicht hat – Tendenz fallend. […]
Und all das, weil wir damals angefangen haben zu reden.“
Dominique de Marné: Warum normal sein gar nicht so normal ist: … und warum reden hilft. Scorpio Verlag, 2019, 240 Seiten; 18 Euro (Taschenbuch) bzw. 12,99 Euro (Kindle).
Ein Gedanke zu „Warum normal sein gar nicht so normal ist… und warum reden hilft von Dominique de Marné“