Georgien scheint gerade auf dem besten Weg, das neueste „hippe“ Reiseland zu werden und ist schon allein aufgrund der Frankfurter Buchmesse in diesem Monat in aller Munde. Doch tatsächlich hatte meine Entscheidung, ausgerechnet dieses Land zu besuchen, nichts mit der Messe zu tun, sondern wurde von einer Dokumentation, die ich 2017 im Kino sah, ausgelöst. „Weit – Die Geschichte von einem Weg um die Welt“ verspricht nicht zu viel von diesem wunderbaren Land.
Zurück in Berlin fragten viele, wie man sich Georgien vorstellen kann. Eher orientalisch oder asiatisch, eher russisch oder doch (west-)europäisch? Eine gar nicht so leicht zu beantwortende Frage, da Georgien so viel zu bieten hat. Da sind die wilden Berge, die an die raue Alpenregion erinnern, und der Wunsch, zur EU zu gehören, weswegen auch an vielen Ecken die europäische Flagge hängt, und doch spricht die Bevölkerung Ü30 kaum englisch.
Unsere Reise begann in Kutaissi, der zweitgrößten Stadt Georgiens. Der erste Schritt in unsere Unterkunft war wie eine kleine Zeitreise – alte Holzmöbel, Kronleuchter, Tapete mit goldenem Muster, Teeservice in Vitrinen. Eine sehr herzliche alte Frau, die nur georgisch und russisch sprach, beherbergte uns, und wir verständigten uns mit Händen und Füßen und lernten unser erster georgisches Wort: „Madloba!“ („Danke!“). Zum Frühstück wurde uns neben allerlei georgischen Leckereien tatsächlich auch der selbstgemachte Schnaps aufgetischt. Alkohol zu meiden, ist in Georgien kaum möglich, er begegnet einem an jeder Ecke. Sei es der Taxifahrer, der dir in seiner Pause einen seiner Brandys anbietet, eine Gruppe georgischer Männer, die dir Weingläser in die Hand drücken, oder der Bergführer, der mit dir unbedingt seinen selbstgebrannten „Chacha“ trinken möchte.
In Kutaissi besuchten wir den Markt, eine kleine Stadt inmitten der Stadt, in der wir jegliche Arten Obst und Gemüse, Tiere, aber auch Holzarbeiten und die georgischen Churchkhelas hätten kaufen können, und die Akademie von Gelati, die mich sehr beeindruckte. Wir konnten einem echten georgischen Männerchor lauschen und einer orthodoxen Taufe beiwohnen – welch ein Einblick in die georgische Kultur! In Georgien gehören 75% der Einwohner der georgisch-orthodoxen Kirche an, 60% bezeichnen sich als sehr religiös. Tatsächlich habe ich Georgien als ein Land kennengelernt, in dem der Einfluss der Kirche im Stadtbild offensichtlich und die Gottesfürchtigkeit allgegenwärtig ist. Leider offenbart sich die religiöse Haltung aber auch in der mangelnden Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten und der Gleichstellung zwischen Mann und Frau.
Von Ort zu Ort bewegten wir uns mit dem Zug oder den Mini-Bussen, den Marschrutkas. Ersteres war definitiv die gemütlichste Art zu reisen – sofern man unter gemütlich gemächlich versteht. Verflog bei bisherigen Bahnreisen die Zeit wie im Flug, hatten wir hier ausreichend Gelegenheit, jeden einzelnen Meter der rund 200 zurückgelegten Kilometer von Kutaissi nach Tbilissi dank des ständigen Schaukelns und Ruckelns, der unvorhersehbaren Fahrtrichtungswechsel und der, nach einiger Zeit durchaus vorhersehbaren, kurzen Halte im 20-Minuten-Rhythmus (schließlich benötigen Schaffner und Lokführer ihre regelmäßige Raucherpause) so richtig zu genießen.
Tbilissi, die Hauptstadt Georgiens, strotzt nur so vor Gegensätzen. Auf der einen Seite ist da die Altstadt mit ihrem ganz besonderen Charme, das alte Bäderviertel und der schön angelegte Botanische Garten, auf der anderen Seite das „junge“ Tbilissi mit dem angeblich besten Technoclub Europas, Bars und Restaurants, die denen in den Szenevierteln anderer europäischer Städte in nichts nachstehen. An jeder Ecke spürt man den Wunsch nach Freiheit und Eigenständigkeit.
Die Altstadt von Tbilissi scheint der Fantasie eines Kinderkopfes entsprungen. Die Häuser bestehen aus Galerien, verzierten Holzveranden, versteckten waghalsigen Wendeltreppen, kleinen Säulen und Stuck. Alles wirkt krumm und schief, so als sei jedem Haus im Laufe der Jahre hier noch eine Etage und dort noch ein Balkon oder eine Treppe hinzugefügt worden. Alles ist verspielt und eng verschachtelt. In den Innenhöfen werden Wäscheleinen von Balkon zu Balkon gespannt, und Weinreben spenden wohltuenden Schatten. Besonders schön sind einige der alten Eingangshallen der zu besichtigenden Wohnhäuser. Abseits der für die Touristen hergerichteten Viertel versprüht die Altstadt einen eher morbiden Charme. Ein Spaziergang durch die Altstadt ist nicht nur ein Muss, er lädt zum Verweilen, zum Träumen, zum Abschalten und nicht zuletzt zum Sichfallenlassen ein.
In Tbilissi treffen die verschiedensten Kulturen aufeinander und alle scheinen friedlich miteinander zu leben und transportieren ein gemütliches Lebensgefühl. Einen Besuch sollte man auch den berühmten Schwefelbädern abstatten, die angeblich heilen sollen. Aber Achtung, die Kombination von sehr heißem Wasser und Schwefel ist nur etwas für starke Nasen…
Besonders spannend war der Ausflug in die Höhlenstadt Uplistsikhe und das nicht nur, weil sich die Kommunikation mit unserem Fahrer äußerst schwierig gestaltete, sondern weil es sich hier um eine der ältesten Siedlungen der Menschheit handelt. Uplistsikhe lag an der Seidenstraße, und die Erkundung der vielen Höhlen, Schlafräume und Tunnel war ein echtes Abenteuer.
Die letzten Tage unserer Reise verbrachten wir in den Bergen des Kaukasus. Hier stockte mir so manches Mal der Atem: beim Wandern und Überwinden der Höhenmeter, beim Staunen über die extrem schöne Natur und nicht zuletzt bei den waghalsigen Überholmanövern unseres die engen Serpentinen hinauf rasenden Marschrutka-Fahrers auf der Fahrt nach Mestia. Die Umgebung Mestias erkundeten wir mit zwei Wandertouren, die jeweils einen ganzen Tag in Anspruch nahmen. Die körperliche Anstrengung wurde mit Blicken über ganz Mestia, die benachbarten Täler, Wasserfälle, in der Sonne glitzernde Bergspitzen, trillernde Vögel, schöne Blumen und spiegelnde Bergseen belohnt.
An unserem letzten Morgen trafen wir dann auf ein Pärchen, das bereits seit knapp drei Wochen in Georgien unterwegs war. Sie berichteten uns voller Begeisterung von der Weinregion, von Stepanzminda, von einer, von einem kleinen Völkchen bewohnten Schlucht und vom Schwarzen Meer. So vieles, das wir nicht gesehen hatten, aber unbedingt noch hätten sehen sollen – spätestens bei unserer nächsten Reise in dieses vielseitige Land!
Zur Reisevorbereitung habe ich Techno der Jaguare – Neue Erzählerinnen aus Georgien gelesen.
Dieser Post ist Teil des Kaukasus-Themas im Oktober 2018.