Menschentier von Indra Sinha

„Die Hoffnung stirbt an Orten wie diesen, denn die Hoffnung lebt in der Zukunft, und hier gibt’s keine Zukunft, wie kann man denn an morgen denken, wenn man die gesamte Kraft benötigt, um das Heute durchzustehen?“

1984 ereignete sich im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh die „Katastrophe von Bhopal“, bei der in einem Werk des amerikanischen Chemiekonzerns Union Carbide Corporation mehrere Tonnen giftiger Stoffe freigesetzt wurden. Schätzungen der Opferzahlen reichen von 3800 bis 25000 Toten durch den unmittelbaren Kontakt mit der Gaswolke.

In Indra Sinhas Roman werden die Ereignisse von Bhopal nach Khaufpur verlegt. Im Mittelpunkt des Romans steht Animal, ein 19-jähriger Junge, der durch den Chemieunfall seine Familie verloren hat, dessen Rücken sich im Alter von 6 Jahren völlig verdreht hat und der sich nur auf vier Gliedmaßen fortbewegen kann. Animal bespricht Kassetten eines Journalisten und erzählt seine Geschichte, berichtet von den Bewohnern von Khaufpur, vom Elend der Armen und von der Ignoranz des verantwortlichen US-Konzerns.

Die Idee mit den besprochenen Kassetten hat mir sehr gut gefallen und vermittelt ein authentisches Bild von Animals Leben und von den Folgen der Chemiekatastrophe. Dabei ist die Lektüre sowohl inhaltlich als auch formal nicht immer einfach, denn Sinha erzählt von unvorstellbarem Leid und lässt Animal in einem Kauderwelsch aus verschiedenen Sprachen, in Neologismen und in seiner ganz eigenen Weise sprechen (z.B. „Apokalis“ oder „Schurnaliss“). So entstehen Wortneuschöpfungen wie „jamesbondieren“, „gekebabt“ oder „gebiryanit“ und Sätze wie „Der Säugling häckset onausgesetzet“. Und so macht die Lektüre – trotz des oft unschönen und sehr berührenden Inhalts – viel Spaß, und sprachlich und stilistisch entdeckt man beim Lesen immer wieder Begriffe, die völlig grotesk und komisch sind, den Leser zum Lächeln bringen.

Menschentier ist ein großartig übersetzter, sehr nachdenklich machender Roman, der dennoch humor- und hoffnungsvoll ist.

Indra Sinha: Menschentier. Aus dem Englischen von Susann Urban. Edition Büchergilde, 2011, 368 Seiten; 19,99 Euro.

Diese Rezension ist Teil des Indien-Themas im Januar 2017.

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