„Deine Rolle hat dich einfach noch nicht gefunden.“ (Seite 90)
Frühjahr 1929: In Amerika hat der Tonfilm die Kinos erobert und damit die Stummfilmära beendet, doch in Deutschland ist diese neue Kunstform noch nicht angekommen.
Der Drehbuchautor Karl Vollmöller ist fest entschlossen, mit dem Dreh von Der blaue Engel ein neues Zeitalter einzuläuten. Er genießt die Unterstützung der mächtigen Ufa, hat es geschafft, Heinrich Mann die Filmrechte an Professor Unrat abzukaufen, hat mit Josef von Sternberg einen genialen Regisseur an Land gezogen und sogar den allerersten Oscar-Gewinner Emil Jannings überzeugt, wieder mit seinem Feind von Sternberg zusammenzuarbeiten und die männliche Hauptrolle im Film zu übernehmen. Nur die weibliche Hauptrolle fehlt ihm noch, und da wird er auf Marlene Dietrich aufmerksam, die zwar als Revuegirl erfolgreich ist, aber als miserable Schauspielerin gilt.
Im Sommer hatte ich das Vergnügen, bei der Berliner Vorpremiere von Im Licht der Zeit das Buch kennenzulernen und der Lesung von Edgar Rai zu lauschen. Ohne diese Veranstaltung wäre ich gewiss nicht auf den Roman aufmerksam geworden, weil ich zwar Bücher mag, die in Berlin spielen, jedoch weder den Film Der blaue Engel gesehen habe noch ein Marlene Dietrich-Fan bin.
Im Licht der Zeit hat mich von der ersten Seite an ins Berlin des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts versetzt, aber aufgrund der regelrechten Namensflut empfand ich den Roman anfangs als recht verwirrend und bisweilen als etwas zu ausufernd. Nach diesem etwa holprigen Einstieg wurde die Geschichte um Der blaue Engel allerdings nach wenigen Kapiteln extrem spannend.
Der Roman ist in anspruchsvoller Sprache geschrieben, die sich nichtsdestotrotz flüssig lesen lässt, auch wenn mir manche Phrasen etwas zu blumig waren und etwas zu bemüht schienen. Letztendlich hat mich Rai jedoch perfekt unterhalten und mir den Film, Dietrich, die Filmindustrie sowie die gesellschaftliche und politische Situation im Deutschland der Weimarer Republik sehr nahe gebracht.
Etwas gestört hat mich, dass durch das Vermischen von Fiktion und Realität unklar bleibt, wo sich der Roman an die historische Wahrheit hält und wo Rai seiner Phantasie freien Lauf lässt. Diese Mischung liest sich zwar ausgesprochen angenehm und fesselnd, aber am Ende hätte ich mir dennoch eine kleine Auflösung und Erklärung gewünscht.
Edgar Rai: Im Licht der Zeit. Piper, 2019, 512 Seiten; 22 Euro.