Frau im Dunkeln von Elena Ferrante

„Die Dinge, die wir selbst nicht verstehen, sind am schwierigsten zu erzählen.“ (Seite 8)

Die 47-jährige Leda fährt allein ans Meer und verbringt mehrere Tage an der süditalienischen Küste, liegt am Strand, beobachtet Leute.

Eine Familie hat es ihr besonders angetan: die junge Mutter Nina mit ihrer kleinen Tochter Elena und anderen Verwandten. Leda ist fasziniert von Nina und Elena, aber eines Tages ist sie plötzlich genervt, steigert sich in Wut und Feindseligkeit hinein und lässt sich zu einer Tat hinreißen, die sie später bereut, die sie aber nur schwer ungeschehen machen kann.

Ich kenne und liebe die Neapolitanische Saga von Elena Ferrante (Hier geht’s zu meinen Besprechungen zu Band 1, Band 2, Band 3 und Band 4) und habe auch ihr Kinderbuch Der Strand bei Nacht mit Freude gelesen. Ich war dementsprechend gespannt auf ihren Roman Frau im Dunkeln, der bereits 2006 im italienischen Original und 2007 in deutscher Übersetzung erschienen ist und der nun – nach dem großen Erfolg der Neapolitanischen Saga – bei Suhrkamp veröffentlicht wurde.

Mir hat der Roman insgesamt gut gefallen, obwohl ich ihn schwächer als die Neapolitanische Saga finde. Beim Lesen fühlt man sich immer wieder an die Tetralogie Ferrantes erinnert, z.B. aufgrund der verwendeten Namen, aufgrund Ledas Hintergrund (neapolitanische Herkunft, Studium außerhalb Neapels, Distanzierung vom armen Neapel und damit auch von der eigenen Familie, schwieriges Verhältnis zum Ehemann und den beiden Töchtern, die sie schließlich verlässt etc.). Ich war mir beim Lesen oft nicht sicher, ob es mir gefällt, dass ich Dinge wiedererkenne und mir viele Aspekte des Buches schon vertraut sind, oder ob ich den Roman etwas redunant finde. Er liest sich gut und ist unterhaltsam, aber er wirkte ein wenig wie ein Ausprobieren, bevor sich die Autorin an die Neapolitanische Saga wagte.

Leda ist eine wahrhaft schreckliche Person, die egozentrisch handelt, boshaft ist und sich distanziert verhält, aber trotzdem Grenzen überschreitet. Damit löste die Figur einiges bei mir aus, und ich finde, genau das sollte Literatur tun, so dass mein Resümee letztendlich ein positives ist.

Ich habe Frau im Dunkeln gerne gelesen, trotzdem wird das Buch einen weniger bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen als die Neapolitanische Saga.

Elena Ferrante: Frau im Dunkeln. Aus dem Italienischen von Anja Nattefort. Suhrkamp, 2019, 188 Seiten; 22 Euro.

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