Dunkelgrün fast schwarz von Mareike Fallwickl

„Und jetzt, ohne das Licht, kann er deutlich sehen, was er vorhin schon vermutet hat. Das Grün ist dunkler geworden, viel dunkler, tief und massiv, fast schwarz.“

Marie zieht 1986 mit ihrem dreijährigen Sohn Moritz und ihrem Baby Sophia nach Hallein, ein einsames Bergdorf. Ihr Mann Alexander bleibt vorerst in Wien, beendet dort sein Medizinstudium und folgt seiner Familie später nach Hallein, um dort eine Praxis zu übernehmen.

Das Leben in Hallein ist einsam: Marie und Moritz kennen im Dorf niemanden, haben keine Kontakte und keine Freunde. Dann begegnet Marie auf dem Spielplatz einer anderen Mutter, Sabrina, mit deren Sohn Raffael sich Moritz sofort anfreundet.

Obwohl Raffael Moritz‘ einziger Freund ist, ist Marie wenig begeistert von dieser Freundschaft, denn Raffael ist ein Tyrann, der im Laufe der Jahre immer unheimlicher, berechnender, unberechenbarer und gefährlicher wird. Er beißt seinen kleinen Bruder und auch Moritz, schikaniert andere Kinder und bringt sie um ihr Taschengeld, manipuliert und erpresst andere.

Moritz und Raffael, die sich gegenseitig Motz und Raf nennen, verbringen ihre Kindheit und Jugend miteinander, und für Moritz ist es eine Art Hassliebe, er himmelt Raffael an, aber er wird immer wieder von ihm gedemütigt:

„Die ganze Sache war genau so, wie mit Raf befreundet zu sein. Das Schlimmste und das Beste zugleich.“

Im Jahre 2017 lebt Moritz zusammen mit seiner hochschwangeren Freundin Kristin noch immer in Hallein. Sechzehn Jahre haben sich Moritz und Raffael nicht mehr gesehen, doch dann steht Raffael eines Tages vor Moritz‘ Wohnungstür und bittet ihn, eine Nacht bei ihm bleiben zu können.

Aus der einen Nacht werden viele Nächte, und nach und nach zerstört Raffael die Harmonie zwischen Moritz und seiner Freundin, wühlt Moritz‘ Leben auf und bringt alte, unangenehme Erinnerungen zurück:

„Irgendwann wirst du erkennen, dass manche Menschen nur leuchten, indem sie andere ins Dunkle schubsen.“

Mareike Fallwickl, mir bekannt durch ihren Literaturblog Bücherwurmloch, dem ich seit kurzer Zeit folge, hat mit ihrem Debüt Dunkelgrün fast schwarz ein beeindruckendes und eindrückliches Buch vorgelegt, das mich bezüglich der Dramaturgie und des überzeugenden Spannungsbogens oft an die Filme ihres Landsmannes Michael Haneke erinnert hat.

Wie bei Haneke ist auch Dunkelgrün fast schwarz von Anfang an unheilschwanger und lässt ahnen, dass die Geschichte um Raffael und Moritz im Verlauf des Buches tragische Züge annehmen wird. Schon auf den ersten Seiten hat mich der Roman gefangen genommen, und ich habe mir unzählige Fragen gestellt: Was für ein Typ ist dieser Raffael, wieso taucht er nach all den Jahren wie aus dem Nichts wieder bei Moritz auf, was ist vor 16 Jahren zwischen den beiden Freunden passiert, was hat es mit dem Grün auf sich, von dem Moritz immer wieder berichtet?

Und so habe ich gebannt immer weiter gelesen, habe mit Fallwickl die Erzählperspektiven und die Zeitebenen gewechselt, habe die Geschichte so von unterschiedlichen Seiten und in verschiedenen Lebensphasen der Protagonisten kennengelernt und nach und nach immer besser verstehen können.

Fallwickls Sprache ist anspruchsvoll, bisweilen auch sehr direkt und beinahe obszön, doch stets passend, voller Bilder, Vergleiche und Metaphern, immer wieder durchsetzt mit österreichischen Begriffen wie Lästwanzen, schlatzig, Schlagobers und Gatsch, von denen mir einige geläufig waren, andere nicht, die aber alle zur besonderen Stimmung in diesem Roman beitragen, perfekt gewählt und in die Geschichte integriert wurden.

Fallwickl erzählt in Dunkelgrün fast schwarz von Freundschaft und Rivalität, von Einsamkeit und Verbundenheit, von Abhängigkeit und Erniedrigung, von Macht und Schikane, von Unterwerfung und Gewalt. Mit diesen Themen, den überzeugenden Protagonisten und den unheilvollen Begebenheiten wirkte der Roman auf mich wie ein Strudel, der mich beim Lesen immer mehr in die Tiefe gezogen hat, dem ich mich kaum entziehen konnte, von dem ich mich bisweilen distanzieren wollte, den ich aber nicht zur Seite legen konnte.

Dunkelgrün fast schwarz steht eindeutig auf der Liste meiner Lieblingsbücher 2018, und ich wünsche ihm viele Leser.

Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz. Frankfurter Verlagsanstalt, 2018, 480 Seiten; 15,99 Euro (Kindle Edition) bzw. 24 Euro (gebundene Ausgabe).

Dazu hab ich auch was zu sagen!