Die Straße der Geschichtenerzähler von Kamila Shamsie

„All diese Geschichten, die sich hier abgespielt haben, in unserer Heimat, auf unserem Stück Erde – wie kannst du dafür so unempfänglich sein?“

Sommer 1914: Die 22-jährige Vivian Rose Spencer wurde von Tahsin Bey, einem Freund ihres Vaters, dazu eingeladen, an Ausgrabungen in Labraunda teil zu nehmen. Vivian genießt das Leben fernab von London und träumt von einer Ehe mit Tahsin. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs trennt die beiden, Vivian kehrt zurück nach London und arbeitet als Krankenschwester in einem Militärkrankenhaus.

Als sie von Tahsin Bey hört, dass er möglicherweise an Ausgrabungen in Peschawar teilnehmen wird, macht auch sie sich auf den Weg nach Indien. Im Zug trifft sie auf Qayyum Gul, der für die Engländer im Ersten Weltkrieg gekämpft hat, verwundet wurde und nun zurück zu seiner Familie nach Peschawar reist.

Mir hat der Roman von Kamila Shamsie sehr gut gefallen. Dies liegt zum einen sicherlich an den verschiedenen Themen des Buches, die ich generell sehr spannend finde: Archäologie, Erster Weltkrieg, Indien, Kolonialzeit und Unabhängigkeitsbewegung. Zudem ist es Shamsie sehr gut gelungen, diese Themen glaubwürdig miteinander zu verknüpfen, stimmungsvoll darzustellen und lebendig zu schildern. Dies führt dazu, dass der Leser bei der Lektüre z.B. viel über die Geschichte Indiens lernen kann und Einblicke bekommt, die ihm sonst vielleicht verborgen geblieben wären.

Zum anderen hat mir Die Straße der Geschichtenerzähler sprachlich sehr gut gefallen. Shamsie schreibt anspruchsvoll und doch flüssig, kann mit ihren Schilderungen fesseln und bewegen.

Die Protagonisten wurden allesamt hervorragend charakterisiert, und über die Jahrzehnte hinweg zeigt sich zudem eine echte persönliche Entwicklung der Figuren, die sich glaubwürdig verändern, erwachsen werden, ihre Naivität verlieren.

Wer eine oberflächliche Liebesgeschichte zwischen Orient und Okzident erwartet, ist hier eindeutig falsch und wird von dem Roman enttäuscht sein.

Wer sich jedoch auf eine komplexe und lebendige Geschichte voller Emotionen, mit zahlreichen historischen und archäologischen Hintergrundinformationen einlassen kann, wird hier einen wunderbaren Roman fernab des Mainstreams finden.

Kamila Shamsie: Die Straße des Geschichtenerzähler. Übersetzung von Ulrike Thiesmeyer. Berlin Verlag, 2016, 432 Seiten; vergriffen (antiquarisch erhältlich).

Dieser Post ist Teil des Pakistan-Monatsthemas im April 2020.

Dazu hab ich auch was zu sagen!