Yasmina Khadra erzählt von der Kindheit und Jugend des Arabers Younes/Jonas im Algerien des 20. Jahrhunderts, von den französischen Kolonialisten, die das Land und seine muslimischen Bewohner unterjochen, vom Kampf um Unabhängigkeit, von politischen Unruhen und der algerischen Nationalbewegung. Der Leser erfährt von den Verlockungen der Städte, die die arme Landbevölkerung anziehen, weil ein besseres Leben erhofft wird, und von zerplatzten Träumen und enttäuschten Hoffnungen. Der Autor berichtet von der Rechtlosigkeit der Araber, die in ihrem eigenen Land nur noch Menschen zweiter Klasse sind und die von den Franzosen politisch und kulturell unterdrückt und klein gehalten werden.
Die Schuld des Tages an die Nacht handelt von Gewalt und politischen Unruhen, von entstehenden und zerbrechenden Freundschaften, von der Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen, von Erniedrigung und Stolz, von einer Liebe, die unter einem schlechten Stern steht.
Wie in allen seinen Büchern verwebt Yasmina Khadra die persönlichen Geschichten seiner Protagonisten mit den historischen und politischen Gegebenheiten seiner Heimat. Die Schuld des Tages an die Nacht unterscheidet sich jedoch stark von den anderen Romanen und ist durch die Betonung der Identitätssuche und der Gefühle von Younes/Jonas meiner Meinung nach ein eher untypisches Buch des algerischen Autors, da es weniger auf Algerien mit seiner Geschichte von Unabhängigkeitskrieg, der Suche nach nationaler Identität, Bürgerkrieg, Islamismus, Terror und Folter fokussiert.
Die Schuld des Tages an die Nacht begeistert durch das hohe sprachliche Niveau und die arabisch-blumige Erzählweise, ohne dass der Autor oder der Leser den Faden verliert. Auch die authentischen und realistischen Charaktere haben mir sehr gut gefallen, da es bei Yasmina Khadra keine simple Unterscheidung in Gut oder Böse gibt. Der Autor schafft es zudem, dass die Schauplätze perfekt imaginiert werden können und sich der Leser nach Nordafrika versetzt fühlt.
Bisweilen erschienen mir die Geschehnisse jedoch etwas konstruiert und die zahlreichen „Zufälle“, die z.B. zum Wiedersehen alter Bekannter/Freunde/Feinde führen, etwas unglaubwürdig.
Die Schuld des Tages an die Nacht ist ein großartiges Buch des algerischen Autors. Ich kann auch alle anderen Romane Yasmina Khadras vorbehaltlos empfehlen.
Yasmina Khadra: Die Schuld des Tages an die Nacht. Aus dem Französischen übersetzt von Regina Keil-Sagawe. List, 2011, 416 Seiten; 9,99 Euro.
Dieser Post ist Teil des Maghreb-Monatsthemas im April 2022.