„Mein Vater, der sein Leben lang Geschichten erzählt hat, kann sich nicht erinnern, und meine Mutter, die ein Leben lang zugehört hat, will sich nicht erinnern, will nicht aus einem losen Wirrwarr von Geschichten eine Geschichte machen, die, welchem Ansturm auch immer, standhält.“ (Track 2)
Im Jahre 1945 ist Josef Ambacher 10 Jahre alt und wird gemeinsam mit seiner Familie von Polen nach Kasachstan zwangsumgesiedelt. Dies ist nicht die erste Umsiedlung in der Geschichte der Familie Ambacher: Frühere Generationen kamen ursprünglich aus Deutschland, siedelten sich bereits im 18. Jahrhundert in Galizien an, doch mussten im Zuge der beiden Weltkriege immer wieder eine neue Heimat finden.
Schon der Transport nach Kasachstan ist dramatisch, Josefs jüngerer Bruder stirbt während der Fahrt, und später verschwindet seine Mutter in einem Schneesturm. Auch das Leben in Nowa Karlowka in der kasachischen Steppe ist hart: Die Familie lebt in einfachen Unterkünften, sie dürfen kein Deutsch sprechen, sind von anderen Deutschen isoliert, haben Angst vor Fehlern, die schnell im Gulag enden können.
Im Wechsel mit der Geschichte Josefs als Kind erzählt Sabrina Janesch von Leila, der Tochter Josefs, von deren Kindheit und Jugend, von ihr als Erwachsene, die sich um ihren dementen Vater kümmert und die seine Lebensgeschichte zusammenträgt.
Ich hatte mich bisher nicht oder kaum mit der im Roman erwähnten Thematik beschäftigt, so dass ich gespannt war, welche Geschichte Janesch hier erzählt. Dabei empfand ich den Roman anfangs als eindringlich und lebendig erzählt sowie als sehr angenehm von Julia Nachtmann eingelesen.
Trotz des spannenden Themas, der ausgezeichneten Lesung und der an sich sehr berührenden Familiengeschichte habe ich nicht recht Zugang zur Geschichte gefunden, bin beim Hören immer wieder mit meinen Gedanken abgeschweift. Ich empfand den Roman als zu sprunghaft erzählt, konnte mich nicht richtig auf die einzelnen Handlungsstränge einlassen, fand den Roman eher anekdotenhaft, wobei mir oft der rote Faden gefehlt hat.
Nichtsdestotrotz haben mir einzelne Passagen und Aspekte des Romans sehr gut gefallen und ich habe einen guten Einblick in das Leben von Aussiedlern in Kasachstan bekommen.
Sabrina Janesch: Sibir. Ungekürzte Lesung von Julia Nachtmann. Argon, 2023; 20,95 Euro.
Ein Gedanke zu „Sibir von Sabrina Janesch (Hörbuch)“