„Genau fünfunddreißig Jahre war es nun her, dass er und der Vater Siebenbürgen verlassen hatten. Fünfunddreißig Jahre, in denen Paul alles getan hatte, um zu vergessen. Den Kummer über das, was er verloren hatte. Die Verwirrung über das, was geschehen war. Die Schuldgefühle, von denen er nicht wusste, woher sie kamen.“ (Seite 12)
Der Redakteur Paul Schwartzmüller arbeitet seit fast 25 Jahren als freier Mitarbeiter für eine Zeitung und bekommt nun ein Angebot für eine Festanstellung. Doch die Freude über diese neue Möglichkeit wird durch ein Einschreiben aus Siebenbürgen getrübt: Seine geliebte Tante Zinzi, bei der er in seiner Kindheit und frühen Jugend jeden Sommer verbracht hatte, ist vor 6 Wochen gestorben, und sie hat ihm ihren Hof in Siebenbürgen vermacht.
Das Einschreiben weckt Erinnerungen an Rumänien, das er vor 35 Jahren mit seinem Vater auf immer verlassen hat, und es verwirrt Paul, denn sein Vater hatte ihm erzählt, dass Zinzi schon bald nach ihrer Ausreise verstorben sei.
In Siebenbürgen trifft Paul seinen Kindheitsfreund Sorin, der im Schloss Bran, dem angeblichen Schloss von Vlad Țepeș, als Reiseführer arbeitet.
Kurz darauf wird im Schloss die Leiche eines Mannes gefunden, und Sorin, der volltrunken und blutbeschmiert neben der Leiche liegt, wird verhaftet. Sorin bittet seinen alten Freund, seine journalistischen Fähigkeiten zu nutzen, um seine Unschuld zu beweisen.
Ich bin schon seit jeher von Vlad Țepeș, Transsilvanien, den Karpaten und der Dracula-Legende fasziniert, und eine Reise nach Rumänien steht schon sehr lange ganz weit oben auf meiner Reise-To-do-Liste. Trotzdem habe ich es bislang noch nicht geschafft, das Land zu besuchen.
Von der ersten Seite an vermittelt Lioba Werrelmann eine geheimnisvolle, düstere Stimmung, die mich sofort nach Siebenbürgen versetzt hat. Die Beschreibungen der Karpaten mit den Wäldern, den schneebedeckten Gipfeln, den Schluchten, den Feldern und den Wiesen, der Dörfer und ihrer Bewohner, des Wolfsgeheuls sorgt dafür, dass von Anfang an eine ganz besondere Stimmung aufgebaut wird.
Sehr gefallen hat mir auch, dass man durch die Lektüre nicht nur einen spannenden Kriminalfall in einer mystischen Umgebung genießen kann, sondern dass man auch mehr über die Geschichte Siebenbürgens und die Siebenbürger Sachsen, über Traditionen und Kulinarik, über Aberglaube und Religion erfährt.
Bisweilen fand ich das Buch inhaltlich etwas dick aufgetragen, sprachlich etwas hölzern (an anderer Stelle wunderbar, z.B. durch die Verwendung von Wörtern wie ‚formidabel‘) und die Figuren etwas zu stereotyp und schablonenhaft, aber alles in allem wurde ich perfekt unterhalten und konnte ganz in die besondere Stimmung im Buch eintauchen.
Lioba Werrelmann: Tod in Siebenbürgen. Paul Schwartzmüller ermittelt. Eichborn, 2023, 304 Seiten; 17 Euro.