„Wohin verschwinden die Erinnerungen, wenn wir die Fähigkeit verloren haben, sie in uns wachzurufen?“
Die Tiefe enthält sechs Storys, die im amerikanischen Original unter dem Titel Memory Wall erschienen sind, wobei die amerikanische Ausgabe eine siebte Geschichte (die Titelgeschichte Memory Wall) enthält, die jedoch bereits 2016 in deutscher Übersetzung und unter dem gleichen Namen (Memory Wall) als Einzelausgabe bei C.H. Beck veröffentlicht wurde.
Ich kenne bereits mehrere Bücher des Pulitzer-Preisträgers Anthony Doerr, und während ich von Alles Licht, das wir nicht sehen und von der Novelle Memory Wall restlos begeistert war, hat mir Doerrs Erstling, der Erzählband Der Muschelsammler, deutlich weniger gefallen. Umso gespannter war ich auf die Lektüre der restlichen Geschichten des amerikanischen Memory Wall-Bandes, und nach dem Lesen von Die Tiefe kann ich erfreut sagen, dass ich diese Geschichten wieder sehr ergreifend und beeindruckend fand.
Die Storys in Die Tiefe sind sehr abwechslungsreich, spielen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten, behandeln vollkommen heterogene Themen, obwohl der gemeinsame Nenner stets „Erinnerung“ ist.
Obwohl ich eigentlich keine Kurzgeschichtenleserin bin, haben mich Doerrs Storys sehr bewegt und mitreißen können. Dabei sind sie sprachlich ebenso einfach wie anspruchsvoll, so dass man sie schnell lesen kann, aber dennoch zum Nachdenken angeregt wird, in andere Welten eintauchen und mit den Protagonisten leiden, sich freuen und ihre Umwelt erleben kann.
Die Geschichten wirken auf den ersten Blick oft alltäglich, zeichnen sich jedoch alle durch eine überzeugende Emotionalität, außergewöhnliche Details, überzeugend ausgearbeitete Themen und einen fesselnden Erzählstil aus.
Zwar haben mich nicht alle Geschichten gleichermaßen beeindrucken können, aber das halte ich bei Geschichtensammlungen für normal, und einige der Geschichten sind dafür echte Perlen, die man immer wieder lesen kann.
Anthony Doerr: Die Tiefe. Stories. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. C.H. Beck, 2017, 265 Seiten; 22 Euro.