„Doch im Grunde unseres Daseins lag vielleicht der Sinn aller unserer Handlungen in der Bindung, die uns an jemanden fesselte.“ (Seite 216 der gebundenen Ausgabe von Piper, 2000)
Die Glut spielt im Jahre 1941 auf einem Jagdschloss am Rande der Karpaten. Hier wurde der General Henrik geboren, hier hat er sein Leben verbracht. Auf dieses Leben blickt er nun zurück, während er auf seinen Jugendfreund Konrád wartet, mit dem er seit vier Jahrzehnten keinen Kontakt hatte.
Henrik und Konrád verband über Jahre hinweg eine enge Freundschaft, die gesellschaftliche Grenzen überschritt: Henrik stammt aus einer reichen Familie des Hochadels, Konrád ist der Sohn eines verarmten Barons.
Doch eines Tages kam es zu einem Zwischenfall, der dazu führte, dass Konrád das Land verließ und Henrik nie wieder ein Wort mit seiner Frau Krisztina wechselte: Auf einer Jagd legte Konrád mit dem Gewehr auf Henrik an.
Jahrzehntelang versuchte Henrik, die Ereignisse und Konráds Verhalten zu verstehen und zu erklären, den Treuebruch nachzuvollziehen. Nun ist für Henrik die Zeit der Abrechnung gekommen, und als Konrád schließlich auf dem Jagdschloss eintrifft, erzählt Henrik in einem langen Monolog von seinem Leben, seiner Freundschaft zu Konrád, seiner Liebe zu Krisztina, dem Verrat an ihm, von seinem Leiden und seiner Erklärung für die Ereignisse.
Bereits 1942 hat Sándor Márai seinen Roman Die Glut (im ungarischen Original mit dem schönen Titel A gyertyák csonkig égnek, d.h. Die Kerzen brennen bis zum Stumpf) in Ungarn veröffentlicht. Auf Deutsch wurde der Roman 1950 in der Übersetzung von Eugen Görcz publiziert und in der Übersetzung von Christina Viragh Ende der 1990er posthum neu herausgegeben.
Mit der Neuübersetzung und Neuausgabe Ende der 1990er Jahre erfuhr Márai, der 1948 seine ungarische Heimat verließ, fortan im Exil lebte und sich 1989 suizidierte, eine regelrechte Renaissance im deutschsprachigen Raum.
Auch für mich war Die Glut derjenige Roman, der mich ins Werk Márais einführte und durch den ich Márai in den Kreis meiner Lieblingsautoren aufgenommen habe.
Die Glut ist nicht nur ein meisterhaft konstruierter und sprachlich anspruchsvoller Roman, sondern hat mich vor vielen Jahren beim ersten Lesen sehr berührt und auch beim Hören des Hörbuchs begeistert und bewegt.
Márai beschäftigt sich in Die Glut mit den großen Themen des Lebens – Liebe, Freundschaft, Verrat, Tod, Treue, Vergeben -, und er tut dies auf überzeugende und stimmungsvolle Weise. Nicht nur die Emotionen schildert Márai authentisch und psychologisch glaubwürdig, auch die Handlungsorte und das Leben in der k.u.k. Monarchie werden so bildhaft und lebendig beschrieben, dass der Roman den Leser/Hörer in eine andere Zeit entführt und eine längst vergangene Epoche wiederaufleben lässt.
Dabei spricht Márai zwar von tiefen Gefühlen, aber Die Glut kommt ganz ohne Pathos aus und weist auch diesbezüglich eine gewisse vornehme Eleganz auf, die zur beschriebenen Epoche passt.
Auch die Lesung von Christian Brückner ist einfach wunderbar. Er gibt der Geschichte um Henrik und Konrád genau die richtige Stimme und Interpretation. Ihm kann ich wirklich stundenlang zuhören, und sicherlich werde ich das Hörbuch immer und immer wieder hören.
Sándor Márai: Die Glut. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh. Ungekürzte Lesung von Christian Brückner. Parlando ein Imprint von Argon, 2009; vergriffen (antiquarisch erhältlich).
Sándor Márai: Die Glut. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh. Piper, 2001, 224 Seiten; 10 Euro.
Dieser Post ist Teil des Ungarn-Monatsthemas im Juni und Juli 2020.