„Die Japaner denken zwar insgeheim, Verbrecher sollte man hinrichten, aber wenn man das laut sagt, wird man schief angesehen. Das ist die finstere Doppelmoral eines Volkes, das seine wahren Gedanken gern hinter einer Fassade verbirgt.“ (Seite 193f)
Die Todesstrafe wird von der Mehrheit der Japaner befürwortet und kann in Japan für 17 Delikte verhängt werden. Meist handelt es sich um Mord oder ein Verbrechen mit Todesfolge, und auch Personen, die zur Tatzeit noch nicht volljährig waren, können mit dem Tod bestraft werden. Vollstreckt wird die Todesstrafe durch Hängen, und bisweilen müssen die Verurteilten Jahrzehnte auf ihre Hinrichtung warten.
Kazuaki Takano gewährt dem Leser mit seinem Roman 13 Stufen ungewohnt tiefe Einblicke in das japanische Rechtssystem und damit auch in die Komplexität des Themas Todesstrafe.
Takano erzählt in seinem Roman von Jun‘ichi Mikami, der nach einer Körperverletzung mit Todesfolge seine Strafe in der Justizvollzugsanstalt Matsuyama abgesessen hat und nun vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Jun‘ichi Mikamis Eltern haben sich finanziell ruiniert, weil sie die – sehr hohe – Abfindung an die Eltern des Opfers zahlen müssen, und da kommt es Jun‘ichi Mikami gerade recht, dass der ehemalige Gefängnisaufseher Nangō an ihn herantritt und ihm ein finanziell sehr lukratives Angebot macht: Jun‘ichi Mikami soll drei Monate lang als Aushilfe in einer Anwaltskanzlei tätig sein und zusammen mit Nangō ein Verbrechen untersuchen, für das ein gewisser Ryō Kihara seit sieben Jahren im Todestrakt der Justizvollzugsanstalt Tokyo einsitzt und auf die Vollstreckung seines Todesurteils wartet.
Ryō Kihara hat angeblich zwei Menschen getötet, leidet jedoch an retrograder Amnesie und kann sich an die Geschehnisse vor und während der vermeintlichen Tat nicht erinnern. Sämtliche Indizien sprechen gegen Ryō Kihara, aber es gibt auch ungelöste Fragen und Unklarheiten, die seit Jahren totgeschwiegen oder vertuscht werden, so dass ein Unbekannter den Fall wieder aufrollen will.
Um seine verschuldeten Eltern finanziell zu unterstützen und um sein eigenes Ansehen durch die Rettung eines Unschuldigen zu verbessern, lässt sich Jun‘ichi Mikami auf das Angebot ein und beginnt zusammen mit Nangō die Ermittlungen.
Schon den Einstieg ins Buch fand ich sehr gelungen und fesselnd, denn auf den ersten Seiten befindet sich der Leser mit Ryō Kihara im Todestrakt, spürt dessen Angst und das Grauen, dem er Tag für Tag ausgesetzt ist, und die Unsicherheit und Ungewissheit, ob der heutige Tag der letzte für Ryō Kihara ist.
Auch im weiteren Verlauf gelingt Takano eine durchweg spannende und raffinierte Geschichte, die sich zudem aufgrund der einfachen Sprache und der sehr überschaubaren Anzahl an Protagonisten schnell und flüssig lesen lässt.
Sowohl der rätselhafte Mord, der Ryō Kihara zur Last gelegt wird, als auch das ungewöhnliche Ermittlerteam sorgen dafür, dass 13 Stufen ein Leseerlebnis ist, das sich von anderen (Kriminal-) Romanen abhebt. Auch die Einblicke in die japanische Rechtsprechung und die Besonderheiten bezüglich des Vollzugs der Todesstrafe empfand ich als sehr gelungen. Dabei gelingt es Takano, die Komplexität des Themas Todesstrafe zu veranschaulichen, indem er verschiedene Personen zu Wort kommen lässt und deren Argumentation vorträgt. So zeigt er, was es bedeutet, wenn ein Land die Todesstrafe anwendet, was es für den Einzelnen bedeutet, welche psychische Belastung das Warten und die Ungewissheit darstellen und dass auch der Henker zum Mörder wird, der sich durch den Vollzug der Todesstrafe eines Verbrechens schuldig macht und sich selbst in eine moralische Zwangslage bringt.
Letztendlich erlaubt 13 Stufen auch einen Blick hinter japanische Gefängnismauern, wo es klare Anweisungen und Gesetze gibt, die jedoch unentwegt gebrochen werden, so dass Strafen und Methoden angewendet werden, die eigentlich verfassungswidrig sind.
13 Stufen ist ein großartiger Roman über Schuld und Vergebung, Bestrafung und Resozialisierung und die Frage, ob Gleiches mit Gleichem vergolten werden kann und sollte.
Kazuaki Takano: 13 Stufen. Aus dem Japanischen von Sabine Mangold. Penguin Verlag, 2017, 392 Seiten; 10 Euro.
Dieser Post ist Teil des Japan-Themas im April 2018.
Kann mich Deiner Rezension nur anschließen. Ich fand das Buch ebenfalls großartig. liebe Grüsse
Liebe Grüße zurück und ein schönes Sonnenwochenende,
Romy