„Manchmal messen Menschen mit zweierlei Maß: Wir gehen von der Annahme aus, dass andere Tiere weniger intelligent sind als Menschen, aber dann werden sie nach höheren Leistungsstandards beurteilt.“ (Seite 309)
Der Meeresbiologe, Ökologe und Naturschriftsteller Carl Safina wollte beobachten, was Tiere tun, und nach dem Grund für ihr Verhalten fragen, weshalb er sich eingehend mit einigen der meist geschützten Tierarten beschäftigte: mit Elefanten in Kenia, Wölfen in den USA und Orcas im nordwestlichen Pazifik. Obwohl der Fokus auf diesen drei Tierarten liegt, erwähnt der Autor zwischendurch unzählige andere Beispiele aus dem Tier- und Pflanzenreich, bietet so einen ebenso breiten wie in die Tiefe gehenden Überblick über das Verhalten und die Intelligenz von Tieren und versucht, Tiere nicht am Menschen zu messen und nicht zu vermenschlichen:
„Ich betrachte sie immer als das, was sie sind, nämlich Elefanten. […] Mein ganzes Interesse gilt den Elefanten. Den Vergleich zwischen Elefanten und Menschen finde ich nicht besonders hilfreich. Der Versuch, ein Tier als Tier zu verstehen, ist in meinen Augen viel interessanter. Wie kann ein Vogel, etwa eine Krähe, mit einem solch kleinen Gehirn derart erstaunliche Entscheidungen treffen? Die Krähe neben ein dreijähriges Kind zu halten – das ist nicht mein Ding.“ [Cynthia Moss, eine amerikanische Forscherin und Naturschützerin, Seite 25]
„Ihr [Cynthia Moss‘] Kommentar warf alles über den Haufen, nicht nur meine Fragestellung, sondern auch meine ganze Denkweise. Ich war davon ausgegangen, dass meine Aufgabe darin bestand, den Tieren die Möglichkeit zu geben, zu zeigen, wie sehr sie uns Menschen ähneln. Nun war die Angelegenheit schwieriger und komplexer geworden: Ich musste erforschen, wer sie sind – wie wir oder auch nicht.“ [Carl Safina, Seite 26]
In Die Intelligenz der Tiere erzählt Safina von Bewusstsein und dem „Verständnis der Beziehung Dritter“, Evolution und Anthropozentrismus, Freundschaft und Liebe, Angst und Empathie, Tod und Trauer, Elfenbein und Profitgier, Kommunikation und Syntax, Alpha-Wolf und Alpha-Wölfin, Raben und Werkzeugnutzung, Prosodie und Musik, Rudel und Gruppendynamik, Domestizierung und Zahmheit, Theory of Mind und Laborstudien, Täuschung und Gerechtigkeitssinn, Transients und Residents, Spielen und Babysitten, Spindelzellen und Spiegelneuronen, Lehren und Nachahmen, Walfang und SeaWorld.
Safina ist ein neugieriger Mensch und Autor, der davon überzeugt ist, dass wir uns alle irgendwie ähneln. Aus diesem Grunde empfand ich die Lektüre als sehr angenehm, denn man merkt auf jeder Seite, wie fasziniert Safina von Tieren ist, und sein Buch ist auch ein Plädoyer für Respekt und Empathie. Dabei ist das Buch nicht nur lehrreich, sondern auch fesselnd geschrieben – es liest sich meiner Meinung nach eher wie ein Abenteuerroman und nicht wie ein Sachbuch.
Das Buch steckt voller Anekdoten und immer wieder stößt man beim Lesen auf faszinierende Details, und so habe ich das Gelesene oft mit meinen Mitmenschen teilen müssen, da Safinas Einblicke so einzigartig, so wunderbar und oft wunderlich sind.
Die Intelligenz der Tiere ist ein kluges und wichtiges Buch, das ich jedem ans Herz lege, der sich intensiver mit dem Verhalten, der Gefühlswelt und der Intelligenz unserer Erdmitbewohner beschäftigen will.
Carl Safina: Die Intelligenz der Tiere. Aus dem Englischen von Sigrid Schmid und Gabriele Würdinger. C.H. Beck, 2017, 528 Seiten; 26,95 Euro.