Schlagwort-Archive: Roman

Mond über Beton von Julia Rothenburg

„Wer hier aus der U-Bahn steigt, ist selber schuld.“ (Seite 9, Zitat aus „Die Welt, 7.3.2016“)

Das „Zentrum Kreuzberg“, das bis 2000 „Neues Kreuzberger Zentrum“ (NKZ) hieß, ist ein Gebäude mit 12 Stockwerken am Kottbusser Tor. Der Bau begann 1969, im Sommer 1974 wurde das NKZ erstmals bezogen.

In diesem real existierenden Gebäude leben in Julia Rothenburgs Roman unter anderem Stanca, die ursprünglich aus Rumänien stammt, verwitwet, verarmt und einsam ist, der ebenfalls verwitwete Mutlu, den die Lebensfreude verlassen hat und der mit der Erziehung seiner beiden Söhne überfordert ist, Mutlus Nichte Aylin, die in der Wohnung über ihm wohnt und versucht, ihrem Onkel und ihren Cousins so gut wie möglich zu helfen, sowie Marianne und Günther, die entsetzt ob der allgegenwärtigen Gewalt am Kotti sind und eine Bürgerwehr zusammenstellen, um auf eigene Faust gegen Junkies und Dealerbanden vorzugehen.

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Bleib bei mir von Ayọ̀bámi Adébáyọ̀

„Wenn die Last zu groß ist, zu groß über eine zu lange Zeit, knickt selbst die Liebe ein, bekommt Risse, droht zu zerbrechen und zerbricht manchmal. Aber auch wenn sie in tausend Scherben verstreut um unsere Füße liegt, ist es noch immer Liebe.“ (Seite 28)

Yejide und Akin haben aus Liebe geheiratet und sich – ganz entgegen der nigerianischen Tradition – gegen die Polygamie entschieden. Doch dass Yejide nicht schwanger wird, belastet nicht nur das Paar, sondern wird zunehmend von Akins Familie thematisiert. Jeden Monat schickt Akins Mutter eine potenzielle Heiratskandidatin in Akins Büro, doch er lehnt stets ab. Bis er Funmi vorgestellt wird, die er schließlich heiratet, weil sie ihm der beste Kompromiss zu sein scheint, denn Funmi erklärt sich bereit, nicht im gleichen Haus wie Yejide und Akin zu leben.

Die Beziehung zwischen Akin und Yejide bekommt Brüche, und Yejide weiß, dass sie schwanger werden muss, um Akin zu halten. Und sie ist bereit, dafür jeden Preis zu zahlen. Bleib bei mir von Ayọ̀bámi Adébáyọ̀ weiterlesen

Die Wurzeln des Lebens von Richard Powers

„Wann ist die beste Zeit, um einen Baum zu pflanzen? Vor zwanzig Jahren.“ (Seite 46, chinesisches Sprichwort)

Jørgen Hoel, der als Einwanderer von Norwegen nach Amerika kam, bestellt zusammen mit seiner Frau Vi einen Flecken Land in Iowa. Dort pflanzt er Kastanienbäume an, doch ein Baum nach dem anderen stirbt, so wie Jørgen und seine Frau auch einige ihrer Kinder zu Grabe tragen. Doch ein Baum überlebt, wächst und gedeiht, und Jørgens ältester Sohn John beginnt damit, jeden Monat am 21. ein Foto dieses Baumes aufzunehmen. Ein Ritual, das von Generation zu Generation weitergegeben wird – bis zu Nick, dem Urururenkel Jørgens, der 120 Jahre später noch immer fasziniert vom majestätischen Kastanienbaum ist. Die Farm der Hoels gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, das Land ist an Firmen verpachtet, doch das Haus und der Baum stehen noch immer.

Neben dieser Geschichte um die Hoels und ihren Kastanienbaum führt Richard Powers im ersten Kapitel („Wurzeln“) sieben weitere Erzählstränge ein, z.B. die Geschichte des chinesischen Einwanderers Sih Hsuin, der einen Maulbeerbaum pflanzt und nach seinem Tod drei Töchter, drei Jade-Ringe und eine alte, wertvolle Bildrolle hinterlässt, und die Geschichte der Wissenschaftlerin Patricia Westerford, die entdeckt, dass Bäume miteinander kommunizieren. Der gemeinsame Nenner aller Handlungsstränge ist ein Baum, der für die jeweilige Person eine besondere Bedeutung hat. Die Wurzeln des Lebens von Richard Powers weiterlesen

American War von Omar El Akkad (Hörbuch)

„Als ich jung war, sammelte ich Postkarten. […] Meine liebsten Postkarten stammen aus den 2030er und 2040er Jahren, den beiden letzten Jahrzehnten, bevor der Planet sich gegen das Land wandte und das Land gegen sich selbst. Es waren Bilder von den großen Ozeanstränden, bevor der ansteigende Meeresspiegel sie verschlang; Bilder aus dem Südwesten des Landes, bevor nur Asche davon blieb; Fotografien von den endlosen Ebenen des Mittleren Westens, menschenleer unter strahlend blauem Himmel, bevor sich in der großen Wanderung all die vielen, die ihre Heimat an den Küsten verloren hatten, hier niederließen. Bilder, die an ein Amerika erinnerten, wie es in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts gewesen war: überschäumend und übermütig, selbstvergessen, als gäbe es kein Morgen.“

Mich hat American War so begeistert, dass ich erst das Buch gelesen und direkt im Anschluss das Hörbuch gehört habe. Wie in meiner Buchrezension zu American War ausführlich beschrieben, behandelt der Roman von Omar El Akkad den Zweiten Amerikanischen Bürgerkrieg, der im Jahre 2074 begann und 2095 beendet wurde. Im Mittelpunkt des Romans steht Sara T. Chestnut, die seit ihrer Kindheit „Sarat“ genannt wird und deren Leben durch den Bürgerkrieg aus den Fugen gerät. American War von Omar El Akkad (Hörbuch) weiterlesen

Der Junge von Nadia Bozak

„Sie hat vergessen, weswegen sie hierhergekommen ist, so grenzenlos ist die Demütigung, die Kontrolle über ihr Leben – über alles – verloren zu haben.“ (Seite 132)

Honey hat ihre Mutter Marianne seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen, und als sie sie auch telefonisch nicht mehr erreicht, macht sie sich auf den Weg in die Grenzregion, in der Marianne zusammen mit ihrem Hund Baez lebt.

Als Honeys Auto eine Panne hat, nimmt sie den Greyhound, wagt sich allein in die extrem abgelegene Gegend.

Auf dem Grundstück der Mutter gibt es keine Spur von ihr und ihrem Hund. Und schließlich wird Honey überfallen und schleppt sich schwer verletzt durch die fiktive Oro-Wüste, begleitet von Chávez, einem Jungen, der selbst auf der Flucht ist und behauptet, er wisse, wo Marianne und Baez sind. Für 5000 Euro ist Chávez bereit, Honey zu ihrer Mutter zu führen.

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América von T.C. Boyle

Bei einem Autounfall treffen zwei Welten aufeinander: Beim Fahrer handelt es sich um Delaney Mossbacher, einen reichen Kalifornier, der (wie viele seiner reichen Nachbarn) von der Angst vor Übergriffen durch Coyoten und Mexikaner getrieben wird und sich ansonsten mit Luxussorgen beschäftigt. Der Angefahrene ist der illegale Einwanderer Cándido, der mit seiner schwangeren Frau América aus Mexiko geflohen ist, um in den Vereinigten Staaten ein neues und besseres Leben zu beginnen. In den darauf folgenden Minuten und Stunden entwirft T. C. Boyle ein gnadenloses Bild einer amerikanischen Metropole und der unsäglichen Kluft zwischen Arm und Reich. América von T.C. Boyle weiterlesen

Harte Jahre von Mario Vargas Llosa

„In nur zwei Wochen hatte Guatemala sich gehäutet. Jede Spur der Amtszeit von Jacobo Árbenz schien ausgelöscht zu sein, und hervorgetreten war ein Land wie im Fieber, in dem die Jagd auf echte oder vermeintliche Kommunisten zur nationalen Obsession wurde.“ (Seite 134)

Im Jahre 1944 begegnen sich Sam Zemurray und Edward L. Bernays zum ersten Mal. Zemurray leitet die United Fruit Company, ein Unternehmen, das Bananen aus Mittelamerika in die USA importiert. Er möchte Bernays als Leiter für die Abteilung für Öffentlichkeit engagieren, um den schlechten Ruf des Unternehmens zu verbessern. Genau das soll Bernays auch gelingen: Das Image der United Fruit Company verbessert sich deutlich.

Doch die erste frei gewählte Regierung in der Geschichte Guatemalas ist Bernays ein Dorn im Auge, er sieht in den demokratischen Bestrebungen Juan José Arévalos eine große Gefahr für die United Fruit Company.

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Pedro Páramo von Juan Rulfo (Hörbuch)

„Nein, ich meine das Dorf. Es sieht so einsam aus, als sei es verlassen, als ob da niemand wohnte.“

„Das sieht nicht nur so aus, es ist so. Hier lebt niemand.“

„Und Pedro Páramo?“

„Pedro Páramo ist vor vielen Jahren gestorben.“

Pedro Páramo ist der einzige Roman des mexikanischen Autors Juan Rulfo, der als Wegbereiter des Magischen Realismus gilt. Pedro Páramo erschien in Mexiko bereits im Jahre 1955 und wurde 1958 erstmals von Mariana Frenk-Westheim ins Deutsche übersetzt.

Ich habe den Roman bereits vor mehr als 15 Jahren in der oben genannten Übersetzung gelesen, und ich weiß noch genau, dass ich ihn aufgrund eines Zitats von Gabriel García Márquez auf dem Umschlag gekauft habe:

„Ich konnte nicht einschlafen, bevor ich das Buch nicht zum zweiten Mal gelesen hatte. Ich habe Rulfos Werk nun ganz wiedergelesen, und ich bin wieder das unschuldige Opfer meiner ersten Erschütterung geworden.“ Pedro Páramo von Juan Rulfo (Hörbuch) weiterlesen

Die Detektive vom Bhoot-Basar von Deepa Anappara (Hörbuch)

„Eines Tages verlieren wir alle jemanden, der uns nahe stand und den wir liebten.“ Track 162)

Der neunjährige Jai lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester in einem indischen Basti, einer Armensiedlung am Rande einer Großstadt.

Er schaut gerne Polizeidokus, und als ein Junge aus seiner Klasse verschwindet, wittert Jai seine große Chance, das durch die TV-Serien erlangte Wissen anzuwenden, um den Jungen zu finden. Bei seiner Detektivtätigkeit helfen ihm sein Freund Faiz, der ein viel besserer Anführer als Jai ist, und seine Freundin Pari, die in der Schule bessere Noten als Jai bekommt und viel klüger als er ist.

Gemeinsam mit Faiz und Pari wagt sich Jai in den geheimnisvollen Bhoot-Basar mit seinen verwinkelten Gässchen und in verbotene Viertel der Stadt. Doch dann verschwinden weitere Kinder, und im Basti geht nicht nur die Angst um, dass es das eigene Kind treffen könnte, sondern auch die Sorge, dass die Polizei mit Bulldozern anrückt und die illegale Siedlung niederwalzt.

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Ich bin Virginia Woolf von Pola Polanski

„Die Worte hingen herum wie zerrissenes Papier und wollten sich nicht zu Sätzen formen lassen.“ (Seite 16)

Inka Ziemer ist seit zehn Jahren für die Fächer Germanistik und Philosophie eingeschrieben, langweilt sich in den Vorlesungen jedoch fast zu Tode und verbringt ihre Tage und Nächte mit Alkohol, Cannabis und Virginia Woolfs Büchern.

Immer wieder versucht sie zu schreiben, denn sie ist davon überzeugt, die Reinkarnation der berühmten Schriftstellerin zu sein, sieht überall Parallelen. Doch sie schafft es nicht, die vielen Worte, die sie im Kopf hat, auf Papier zu bringen. Immer wieder reißen die Gedanken ab oder sie wird von äußeren Reizen abgelenkt.

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