Die Enthüllung von Mario Vargas Llosa

„Enrique traute niemandem mehr. Mittlerweile war alles möglich in Peru. Einem Land, das er offenbar erst jetzt bis ins Innerste kennenlernte […]. Seit die Fotos in seine Hände gelangt waren, hatten sich ihm die Augen geöffnet vor einer Hölle, die noch schlimmer war als die Bomben des Leuchtenden Pfades und die Entführungen durch die Túpac Amarus.“

Eines Tages bekommt der wohlhabende und erfolgreiche Ingenieur Enrique Cárdenas sehr unangenehmen Besuch: Der Klatschreporter und Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Enthüllt“ – Rolando Garro – sucht ihn nach zahllosen Anrufen in seinem Büro auf und übergibt ihm einen Umschlag mit brisanten Fotos, die Cárdenas bei einer Orgie zeigen.

Cárdenas gerät in Panik und weiht seinen Freund und Anwalt Luciano in die heikle und unangenehme Geschichte ein. Luciano kann ihn vorerst beruhigen, aber als Garro erneut im Büro Cárdenas‘ auftaucht und – als Gegenleistung für eine Nichtveröffentlichung der Fotos – um eine Investition in seine Zeitschrift bittet, verliert Cárdenas die Nerven und wirft Garro aus dem Büro.

Garro fackelt nicht lange und veröffentlicht die Fotos von Cárdenas. Cárdenas‘ Leben, seine Ehe und sein Ruf scheinen zerstört zu sein. Und dann wird die Leiche Garros gefunden, der fürchterlich zugerichtet und brutal getötet wurde.

Ich habe schon sehr viele Bücher von Mario Vargas Llosa gelesen, zähle ihn zu meinen Lieblingsautoren und schätze vor allem Romane wie Tante Julia und der Kunstschreiber, Wer hat Palomino Molero umgebracht?, Tod in den Anden und Das Fest des Ziegenbocks, während mir der 2011 erschienene Roman Der Traum des Kelten weniger gut gefallen hat. Durch die vielen kritischen Besprechungen von Die Enthüllung hatte ich eine eher negative Erwartungshaltung bezüglich Vargas Llosas neuesten Roman, obwohl mir die Berliner Buchpremiere im Oktober 2016 sehr gut gefallen hat, bei der Vargas Llosa und Hanns Zischler aus Die Enthüllung gelesen haben.

Den Einstieg in Die Enthüllung fand ich eher enttäuschend. Die von anderen Rezensenten kritisierten Sexszenen empfand auch ich als unnötig sowie als nicht typisch und nicht repräsentativ für die Schreibkunst Vargas Llosas. Wer hier aufgibt, verpasst meiner Meinung nach allerdings einen großartigen Roman, der dem Leser einen tiefen Einblick in die Geschichte und Politik Perus ermöglicht. Spannend ist dies zudem vor dem Hintergrund, dass der Präsident Alberto Fujimori, dessen Gewaltherrschaft, dessen Geheimdienst und dessen Machenschaften im Roman detailliert beschrieben werden, im realen Leben der Kontrahent Vargas Llosas bei den Präsidentschaftswahlen 1990 in Peru war, wobei der eigentliche Favorit Vargas Llosa gegen Fujimori in der Stichwahl verlor.

Interessant sind auch die Beschreibungen des Lebens in dieser düsteren Epoche: der allgegenwärtige Terror, die Entführungen und die Gewaltbereitschaft des maoistischen Sendero Luminosa (Leuchtender Pfad) und der peruanischen Guerillagruppe Túpac Amarus, die Ausgangssperre und die Bomben, die große Kluft zwischen Arm und Reich, die Gefängnisse und die Folter. All dies zeigt dem Leser sehr deutlich und authentisch, wodurch das Leben und der Alltag in den 1990er Jahren in Peru geprägt waren, und Vargas Llosa gewährt dadurch seltene Einblicke in eine kaum bekannte Geschichte.

Neben diesen düsteren Szenen bietet der Roman jedoch auch viele amüsante Momente, vor allem wenn Vargas Llosa Figuren wie den Klatschreporter Rolando Garro auftreten lässt. Hier kommt mir sicherlich zugute, dass ich mich noch immer sehr gut an die Lesung Zischlers bei der Berliner Buchpremiere im Oktober 2016 und an seine Intonation erinnern kann. Zischlers Interpretation war so brillant, dass er den Figuren tatsächlich Leben eingehaucht hat, so dass ich mir vorstellen kann, dass auch das Hörbuch zu Die Enthüllung großartig ist.

Der Roman ist durchweg leicht lesbar, was ich an Vargas Llosa stets sehr schätze. Hier findet man keine umständlichen, hochgestochenen Phrasen und Formulierungen, sondern der Autor schafft es, trotz leicht verständlicher Sprache anspruchsvoll zu schreiben, was ich für ein Kunststück und einen Segen halte. Am Ende des Buches findet sich zudem ein recht typischer Vargas Llosa-Kunstgriff: Wie auch schon in anderen Romanen lässt er verschiedene Szenen und Gespräche miteinander verschmelzen, so dass komplexe Dialoge im Sinne einer Parallelmontage entstehen, wie man sie aus Filmen kennt und die die Grenzen zwischen den Ereignissen, Personen sowie Vergangenheit und Gegenwart verwischen.

Die Enthüllung ist ein großartiger Roman, wenn man von den für den Autor eher untypischen Sexszenen absieht, die ich als unnötig und entbehrlich angesehen habe, die vor dem Hintergrund des Terrors und der Angst jedoch eine Art Flucht in eine andere Welt, in ein heiles Leben darstellen könnten. Neben diesem kleinen Kritikpunkt empfand ich Die Enthüllung als einen sehr gelungenen und empfehlenswerten Roman des Autors, der Einblicke in historische Begebenheiten und eine dunkle Epoche Perus bietet.

Mario Vargas Llosa: Die Enthüllung. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, 2016, 301 Seiten; 24 Euro.

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